Kolumne

Foto und Form

Foto und Form

Die Serie „Foto und Form“ erläutert, wie man Motive überzeugend gestaltet. In dieser Folge präsentiert der Autor Dr. Michael Lobisch-Delija einige Bildbeispiele, die von der Anordnung mehrerer Ebenen profitieren.

Wenn Bildteile hintereinanderliegen, spricht man von Staffelung. Je nach Lage und Anordnung entsteht zudem der Eindruck, man schaue durch mehrere Aufbauten einer Kulisse hindurch.

Folge 4: Staffelung und Kulisseneffekt

Grundsätzlich wirkt ein wie im Bild oben mittig angeordnetes Objekt eher langweilig. Um das Segelschiff gibt es aber so viel dynamisches „Drumherum“, dass die Gesamtwirkung lebendig bleibt.

Die senkrecht aufragende Mastreihe (rot markiert) kontrastiert mit den umgebenden unregelmäßigen organischen Strukturen des grün markierten Vordergrundes einerseits und der blau markierten Hügelkette des Hintergrunds andererseits.

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Bei diesem Foto schieben sich drei Ebenen wie Kulissen über- und ineinander.
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Die Zweige bilden einen Rahmen für das Schiff in der Mitte, hinten schließt das Motiv mit den Bergen ab.

Dreiklang

In der Aufnahme auf der nächsten Seite geht es mit der Staffelung von kulissenähnlichen Ebenen weiter. Im Bild einer herbstlichen Landschaft sieht der Betrachter eine Kombination aus leuchtenden Farben und wechselnden Konturen von zahlreichen Ebenen, die fast flächig aufeinander zu kleben scheinen. 

Was macht nun den besonderen Reiz dieses Bilds aus? Wie so oft ist es die Kombination aus Formen und Farben, die vordergründig in drei aufeinandergestapelte Hauptebenen zusammengefasst werden kann. Die Skizze links unter der Landschaftsaufnahme macht sie deutlich: 

  1. Eine vordere, untere Ebene mit warmen und leuchtenden Farben.
  2. Eine mittlere Ebene mit eher gedeckten Farben.
  3. Eine hintere, obere Ebene mit kühlen Blautönen.

Diese groben Effekte allein sind aber noch nicht der Knaller, sondern es muss noch mehr dazu kommen: Die Hauptebenen lassen sich weiter auflösen in reizvoll versetzte Unterebenen. In der Skizze rechts unter der Landschaftsaufnahme habe ich sieben Markierungen eingefügt, die diese verschiedenen Ebenen wieder als Kulissen sichtbar machen sollen:

Der grüne Gebüschsaum am unteren Bildrand bildet die vorderste Ebene. Danach folgt die erste Schicht eines Maisfelds (grüne bis rote Markierung), und – durch eine schmale Schneise abgesetzt – die zweite Schicht (bis zur gelben Markierung). Wieder dahinter folgen zwei gegeneinander versetzte grüne Ebenen aus Büschen und Bäumen, die sich klar von den beiden nachfolgenden blauen Hügelketten abgrenzen lassen (dunkelgrüne Markierung). Letztere verlieren sich Ton in Ton im blauen Dunst, der in den Himmel übergeht. 

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Im herbstlichen Motiv staffeln sich die Bildelemente nicht nur aufgrund der landschaftlichen Elemente, sondern auch aufgrund ihrer Farben.
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Das Schema verdeutlicht die farblichen Abstufungen.
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Eine weitere Gliederung zeigt noch mehr Bildebenen.

Unser Auge hat also reichlich Nahrung, um sich vorne unten in den sich wiederholenden Details „auszutoben“ und hinten oben in ruhigem Ambiente weiter zu ergehen. Die Gegensätze in Form und Farbe sowie die abwechslungsreichen Übergänge im Wechselspiel der Farben (grün – rot – grün – rot – grün – blau) sind bei diesem Bild der Schlüssel zur nachhaltigen Wirkung, wie wir sie uns von einem guten Foto wünschen, das uns auch nach längerer Betrachtung noch zu fesseln vermag.

Das zuvor genannte Beispiel wirkt durch die längere Brennweite eher flächig. Daher möchte ich noch ein Beispiel hinzufügen, das mit einem Weitwinkelobjektiv entstand. Es verdeutlicht die Dynamik der Tiefenstaffelung, die kurze Brennweiten erzeugen.

Kleine Fluchten I

Die nächste Komposition ist auf der Folgeseite zu betrachten. Bei dem im Morgendunst aufgenommenen Orangenhain lassen sich wie bei den anderen Beispielen mehrere Ebenen aufzählen.

Während die vordere Ebene mit Fass, Leiter und dem Mäuerchen sowie die hintere Ebene mit den verschwommenen Baumkonturen ruhig und statisch wirken, bringt die sie verbindende mittlere Ebene (der Mittelgrund) durch die Fluchtlinien der schemenhaft erkennbaren Orangenbäumchen ein dynamisches Element ins Spiel. Diese Linien machen das Bild eigentlich erst interessant.

Vergleichbare Kompositionen ergeben sich zwangsläufig. Denn der Sehstrahl eines Fotografen trifft immer auf den Fluchtpunkt, der sich auf der Horizontlinie befindet. Diesem Gesetz folgen auch die Fluchtlinien. Aus diesem simplen Blickfang gilt es ebenso viel herauszuholen wie die Renaissance-Maler, die die Perspektivenlehre zur Meisterschaft brachten. Wer aufpasst, sieht viele solcher Fluchtlinien, die den Blick des Betrachters bannen.

Orangenhain
Ein Orangenhain im Nebel. Trotz der dunstigen Atmosphäre ist eine klare Komposition erkennbar.
Orangenhain
Statt einer gleichförmigen Ebenenanordnung geben hier die Fluchtlinien etwas mehr Dynamik.

Kleine Fluchten II

Ein weiteres Foto, in welchem die Fluchtliniendynamik zur Bildspannung beiträgt, wurde in den Gemäuern der berühmten Festung von Carcassonne aufgenommen. Im Zentrum des Bilds, jedoch nicht zentral, sondern etwa im Goldenen Schnitt, steht ein Kinderpaar mit farbenfroher Bekleidung. Es kontrastiert schön mit der eher monotonen graubraunen Farbe der trutzigen Burgmauern.

Allein der Größenunterschied der geradezu winzig wirkenden Kinder vor dieser mächtigen Mauerkulisse bringt schon eine gewisse Spannung ins Bild. Zudem ergibt sich geradezu zwanglos eine geometrische Spannung, da die Kinder in der Ecke einer den Vordergrund dominierenden kleineren Mauer stehen. Diese und die Steinreihen des Bodens streben beim gewählten Blickwinkel auf die Kinder zu.

Die doppelte Mauerkulisse lockern zahlreiche Schießscharten im Hintergrund auf, die eine reizvolle grafische  Abwechslung bilden. Generell gilt für Kompositionen, dass das Auge Zacken, Treppen und andere sich wiederholende Strukturen liebt.

In der Wiederholung einer Struktur liegt also ein gewisser Reiz, der beim nächsten Bild rechts unten ins Auge springt. 

Carcassonne
Die Festung im südfranzösischen Carcassonne.
Carcassonne
Fluchtlinien lenken den Blick auf das Kinderpaar.

Ordnung im Chaos

Wald
Den Wildwuchs im Wald kann ein Fotograf augenfreundlich gliedern.

Im Gegensatz zur Staffelung in der Tiefe wird die Staffelung in der Breite „Reihung“ genannt. Sie entfaltet wie in der Aufnahme rechts, dem Wald im Mai, wiederum ihren eigenen Reiz.

Die Bildwirkung beruht auf drei Faktoren: Neben der Reihung (Wiederholung!) sind es das Lichter- und Schattenspiel des Ensembles sowie die durch die Efeublätter aufgelockerten Strukturen der Baumstämme. Ein Teleobjektiv verstärkt die Strukturwiederholung durch räumliche Verdichtung. sowohl in der Breite als auch in der Tiefe des Raums.

Fazit

In dieser Kolumne haben wir das Prinzip der Strukturwiederholung als wirkungstragendes Gestaltungselement beleuchtet. Dieses Wiederholungsprinzip findet seinen Ausdruck in der Reihung und/oder Staffelung von Strukturen, welche neben dem Mittelgrund die perspektivische Wirkung von Bildern bestimmen. Die Ausgestaltung des Mittelgrunds trägt insbesondere bei Weitwinkelaufnahmen wesentlich zur Bilddynamik bei. Bei vielschichtigen Aufnahmen kann zusätzlich ein Kulisseneffekt zum Tragen kommen, welcher die Perspektive vor allem in der Tiefe moduliert.

Eine teure Ausrüstung erweitert die fotografischen Möglichkeiten. Entscheidender für die Bildqualität ist aber, wie man nutzt, was verfügbar ist – egal ob Kompakt- oder Spiegelreflexkamera. Das Buch vermittelt hierfür wichtige formale Grundsätze, etwa wie man Flächen, Linien und Perspektiven gekonnt einsetzt. Zahlreiche Fotos veranschaulichen, wie sie wirken. Anhand der Beispiele lernt man, mit Formen und Farben beeindruckende Wirkungen zu erzielen. Der Leitfaden wurde für den „Deutschen Fotobuchpreis 2015“ nominiert.

Michael Lobisch-Delija: Wie wirkt mein Bild? mitp 2014, 2. Auflage 2016, Softcover, 196 Seiten, ISBN 978 3 8266 9694 7, Preis: 19,99 Euro

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