Erstellt von FOTO HITS-Redaktion
| Kategorien:  Literatur  

Buch: Hans-Michael Koetzle

Reden wir über Fotografie

Schon mit den Zitaten von Henri Cartier-Bresson, André Kertész und Wim Wenders könnte man Regale füllen. Diese sind aber für Foto-Fans wie Schnipsel eines eigentlich großartigen Films. Es fehlt die große Erzählung, der weite Spannungsbogen. Den liefern die Essays und Interviews von Hans-Michael Koetzle.

Eigentlich gilt für Journalisten die Regel: Er selbst tritt in den Hintergrund, das Wort hat der Künstler. Im Fall von Koetzle muss man eine Ausnahme machen, da er die Fotokunst nicht nur begleitete, sondern auch als Kurator und Historiker beeinflusste.

In den 1980er-Jahren kam allerdings niemand in der Fotowelt voran, nur weil er ein Kunststudium abgeschlossen hatte. Das Lichtbild war noch nicht allgemein als wertvoll genug für Museen anerkannt, die Fotografierenden rekrutierten sich oft aus Autodidakten. Um hier Fuß zu fassen, musste sich Koetzle einen offenen Blick aneignen: Als Zeichner, Literaturstudent und Gründer einer Puppenbühne kam er zum ersten Buchprojekt, „Bertold Brecht beim Photographen“. Dann ging es Schlag auf Schlag. Er kuratierte Ausstellungen, publizierte Essays und verfasste Bücher wie das Lexikon der Fotografen, in dem die FOTO HITS-Redaktion trotz Wikipedia gern Details nachschlägt. Zudem arbeitete ­Koetzle bis 2007 als Chefredakteur der Zeitschrift Leica World. 

SCHATZKÄSTLEIN

In den vergangenen Jahren veröffentlichte Koetzle zahlreiche Abhandlungen und Interviews. Das kleine, dicke Buch „Reden wir über Fotografie“ versammelt eine Auswahl davon, die sich wie ein Who’s Who berühmter Bildkünstler liest. Einige der insgesamt 33 Namen sind Aenne Biermann, Henri Cartier-Bresson, Lillian Bassman, Saul Leiter, F.C. Gundlach, Elliott Erwitt, Will McBride, René Burri, Joel Meyerowitz, Peter Lindbergh und Martin Parr. Den Schlusspunkt in der Blütenlese setzt ein Essay über „Paris im Fotobuch“.

In den Interviews beweist Koetzle journalistische Tugenden: Er bleibt im Hintergrund, gibt aber fachkundig die richtigen Stichworte. Daher beginnen die Künstlerinnen und Künstler frei zu erzählen, wobei man oftmals sehr persönliche Details miterlebt. Zunehmend entfaltet sich ihre Biografie, also was sie antrieb und formte: kleine Siege und große Niederlagen oder Lehrer und Konkurrenten, denen sie begegneten. Darüber hinaus taucht der Lesende in die jeweilige Epoche ein. Wie in einem Bühnenstück folgt er gebannt allen Irrtümern, Leidenschaften und Ideen.

Kurz: Das Kompendium bereitet während des Lesens viel Vergnügen. Zudem gibt es einmalige Einblicke in die Fotogeschichte.

Andreas J. Hirsch (Hrsg.): Hans-Michael Koetzle – Reden wir über Fotografie. 384 Seiten, eine Abbildung, Kehrer-Verlag Heidelberg 2022, ISBN 3 978 3 96900 100 4, Preis: 28 Euro


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