Interview

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Die Sammlung als Spiegel des Selbst

Im besten Fall rettet eine Bildersammlung den guten Geschmack kommender Generationen. FOTOHITS sprach mit der Legende F.C. Gundlach darüber, wie er eine Sammlung von Weltrang aufbaute.

FOTOHITS: Fotografische Sammlungen sind relativ neu: Erst in den 1960er und 1970er Jahren begannen die meisten europäischen Museen damit. Wann fingen Sie an?

F.C. Gundlach: Als junger Mann ging ich etwa ins Amerika Haus in Stuttgart, dort waren alle Zeitschriften zu finden, unter anderem die „Vogue“. Wenn ich mich von einem Bild gar nicht mehr trennen wollte, machte ich „ratsch“, steckte es in die Tasche und hängte es später an die Wand. 

FOTOHITS: Wollten Sie im musealen Sinn bedeutende Fotografien sammeln oder folgten Sie dem eigenen Geschmack? 

F.C. Gundlach: Ein Sammler sollte kaufen, was ihm etwas gibt, was ihn berührt. Manchmal erwerbe ich ein Bild, das in den Kontext der Sammlung wunderbar passt, aber außerhalb von ihr keine Bedeutung hat. In einem Vortrag sagte ich einmal: „Eine Sammlung sollte sich wie ein lebendiger Organismus verändern. Sie ist ein Spiegel der eigenen Interessen und Emotionen und letztlich der Sammler selbst“. 

Man muss natürlich Instinkt besitzen und informiert sein. Roger Ballen etwa kam von Südafrika nach New York und hatte keinen Cent in der Tasche. Vermutlich traf ich ihn in einer Kneipe. Ich suchte mir zehn oder 15 Bilder aus und habe sie ihm für etwa 1.000 US-Dollar abgekauft. 

Nan Goldin ernährte ich gewissermaßen über zwei Jahre hinweg. Wir haben auch die ersten 25 großen Abzüge für sie gemacht, sie hatte ja nie Geld. Dann habe ich 1978 Stephen Shore ausgestellt unter dem Titel „New American Color Photography“. 

FOTOHITS: Erstaunlicherweise ist es nur 40 Jahre her, dass die Farbfotografie um ihre künstlerische Anerkennung kämpfen musste.

F.C. Gundlach: Jüngst hingen in der Galerie c/o Berlin die fünf ersten Bilder von Shore, die ich in der Ausstellung 1978 zeigte. Die hatte ich natürlich behalten. 

FOTOHITS: Wir glauben, einen gesicherten Bestand an Meisterfotografen zu haben. Tatsächlich hätte alles anders kommen können: Martin Munkácsi oder Lee Miller gerieten nach ihrem Tod fast in Vergessenheit. Ist ihre Sammlertätigkeit auch der Versuch, deren Originale zu erhalten?

F.C. Gundlach: Das fing ja bereits in den 1930er Jahren an, man denke etwa an den Bildband „Die Welt ist schön“ von Albert Renger-Patzsch. Herausgeber war Carl Georg Heise, der von 1945 bis 1955 die Hamburger Kunsthalle leitete. Ich recherchierte das und fragte ihn nach den Bildern – er hatte noch den gesamten Vintage-Satz. Er lag bei ihm zu Hause herum. 

FOTOHITS: Sie eigneten sich früh die Fähigkeiten an, solche Bilder zu retten. Wie geschah das? 

F.C. Gundlach: In den 1950er Jahren kam ich in die amerikanische Fotoszene. In New York lernte ich Eileen Ford kennen, die Gründerin einer legendären Model-Agentur – eine Freundschaft, die Jahrzehnte andauerte. Sie kannte alle Fotografen. Wenn ich jemanden sehen wollte, machte sie einen Termin aus und ich marschierte hin. So etwa kam ich zu Erwin Blumenfeld. Bei ihm sah ich eine Kiste mit allen seinen Dias. Sie waren alle total rotstichig, nicht mehr zu gebrauchen. 

FOTOHITS: Kann man die Abzüge nicht retuschieren?

F.C. Gundlach: Für Martin Munkácsi etwa war das Wichtigste die Dunkelkammer, denn dort konnte er Bewegung in die Bilder bringen. Das ließ sich anhand der Originale ablesen, er fotografierte nur auf Neun-mal-Zwölf-Glasplatten. Es ist mir einmal gelungen, zehn von seiner ersten Serie zu erwerben. Der Motorradfahrer etwa, der durch die Pfütze fährt – eine Inkunabel der Fotogeschichte – ist in der Dunkelkammer entstanden. Das Motiv auf der Glasplatte ist nur etwa zwei Zentimeter groß. 

Ich hatte bereits angefangen, Editionen mittels Dye-Transfer zu machen. Da wir von Blumenfeld nur Dias besaßen, keine Prints, habe ich zehn Motive ausgesucht, und die druckten wir mit Dye-Transfer in einer Auflage von 50 Kassetten. Diese wurden in New York vorgestellt, woraufhin der Anruf eines Mr. Penn kam. Der sagte: „Ich habe das Blumenfeld-Portfolio gesehen und dasselbe Problem. Ich benutzte zur selben Zeit das gleiche Material, und meine Dias sind ebenfalls rot.“ Ich antwortete ihm, dass die einzige Möglichkeit darin bestünde, dass er nach Hamburg käme. Irving Penn war ja so pingelig. Er kam an und wir haben zehn Tage lang die wichtigsten Motive produziert.

Wenn man bei Dye-Transfers einen Test durchführt und alles stimmt, muss man die Auflage sofort am gleichen Tag herstellen. Danach ist sie abgeschlossen und es kommt nichts mehr. 

FOTOHITS: Man könnte boshaft sagen, die künstliche Verknappung eines Vintage-Prints solle nur den Preis hochtreiben.

F.C. Gundlach: Für ein heute nachgemaltes Dürer-Gemälde zahlen Sie auch nur einen Bruchteil von dem, was Sie für einen echten Dürer bezahlen. Heutige Prints mögen besser sein als frühere Abzüge. Aber es geht um Authentizität, die Geschichte.

Sie können sofort die Vintage-Prints mancher deutschen Fotografen erkennen, weil sie etwa bestimmtes Fotopapier hochschätzten. Beispielsweise wurden die Leonar-Werke in Hamburg von Agfa aufgekauft und die Produktion eingestellt. Das Papier war leicht und ging etwas ins Gelbe, was den Bildern sehr gut tat. Peter Keetman liebte es. 

FOTOHITS: Die Preissteigerung ist aber ein Problem: Nachdem Investoren in den letzten Jahren die Malerei als Geldanlage abgegrast hatten, stürzten sie sich auf die Fotografie, weshalb die Preise durch die Decke gingen. 

F.C. Gundlach: Der Markt ist sehr volatil und von vielen Faktoren abhängig. Wenn momentan etwas von mir verkauft wird, sind es keine Vintage-Abzüge, sondern großformatige, mindestens 1,30 Meter hohe Drucke. Sie gibt es in einer Auflage von je drei Stück. Das kaufen keine Leute, die sich für den Vintage-Gedanken interessieren, sondern an großen Wänden Kunst als Dekoration und Lebensumfeld suchen.

FOTOHITS: Sie blieben keineswegs den analogen Techniken verhaftet, sondern besaßen auch einen der ers­ten Scanner. Wie kamen Sie zu ihm?

F.C. Gundlach: Früher fuhr ich zur Druckerei nach Itzehoe und hatte etwa 20 Seiten für die „Brigitte“ dabei. Dann ging ich zum Lithographen und sagte ihm: Da könnt ihr das Grün etwas weglassen und das Rot verstärken. Das führten die damals noch alles manuell mit einem Vergrößerungsapparat durch.

Im Jahr 1979 stand da eine Kiste, die zwei Meter breit war und eine Tonne wog. Die besaß eine Trommel in der Mitte, mit der man Kleinbilddias scannen konnte. Die musste ich haben. Ich unterhielt mich mit dem Hersteller, der Hell GmbH aus Kiel, und die sagten: „Was wollen Sie damit, Sie sind doch Fotograf?“ Doch gaben sie mir 100.000 D-Mark Nachlass, wenn ich ihnen die Software überließe, die ich mit dem Scanner entwickeln würde. 

FOTOHITS: Ende der 1970er Jahre traten Sie vermehrt als Kurator in Erscheinung, wodurch Sammlerstücke gewissermaßen zu Ihnen kamen. Können Sie den Lesern einige Hintergründe erzählen?

F.C. Gundlach: Richard Avedon und Irving Penn waren beide bei der New Yorker „Marlborough Gallery“, deren Macher aber die Fotografie nicht begriffen haben. Sie schickten mir die erste Penn-Ausstellung originalgerahmt, und zwar in Gold (lacht). Ich habe sie erst einmal umgerahmt.

Ich veranstaltete auch die erste Robert-Mapplethorpe-Ausstellung überhaupt in Europa. Sein Repräsentant, der selbst Sammler war, hatte mich gefragt „Why don’t we show him in Europe“. Die Abzüge kosteten damals 350 US-Dollar. Wir verkauften zwei Bilder, 20 habe ich behalten – so wird man zum Sammler. 

FOTOHITS: Heute wird der Rang etwa eines Mapplethorpe nicht mehr hinterfragt. Generell musste sich die Fotografie allerdings ihren Status als „Kunst“ erst einmal erkämpfen. Ab den 1920er Jahren schrieben die Fotografen selbst etwa Essays, erst in den letzten Jahrzehnten nehmen sich Kunsthochschulen flächendeckend der Fotokunst an. Wie erlebten Sie diesen Weg?

F.C. Gundlach: Alles begann ja mit den Franzosen, also etwa Daguerre. Man sollte nicht vergessen, dass das französische Parlament die Erfindung kaufte, da es die politische Dimension des Mediums erkannt hatte. Napoleon III. etwa war ein Foto-Freak, der jedes Jahr mit seiner Entourage zu André Adolphe-Eugène Disdéri anreiste. Damals diente es als ein Massenmedium, mit dem das Gesicht des Kaisers tausendfach verbreitet wurde. Unter anderem deswegen wurde die Fotografie über viele Jahre hinweg nicht als Kunst anerkannt.

Eine große Rolle spielt auch George East­man, der Gründer von Kodak. Deren Slogan war ja „You push the button, we do the rest“. Dieser Satz hat der Fotografie mindestens 30 Jahre lang geschadet. Denn er besagte, dass jeder ein Künstler sein könne. Er benötige nur einen Apparat von Kodak, und der Rest geschehe von selbst. Dabei ist es genau umgekehrt. Der Apparat ist für mich nur ein Werkzeug wie ein Hammer oder Meißel. 

FOTOHITS: Wie waren die Anfänge in Deutschland?

F.C. Gundlach: Hamburg hat bei der Anerkennung der Fotografie immer eine große Rolle gespielt. Im Besonderen war es Alfred Lichtwark, der erste Direktor der Hamburger Kunsthalle. Seit 1896 machte er Foto-Kunstausstellungen. Komischerweise hat er aber nichts gekauft. Stattdessen erwarb der Hamburger Kaufmann Ernst Wilhelm Juhl etwa die gesamte Produktion großformatiger Gummidrucke der Brüder Hofmeister.

Als er 1915 starb, wollte seine Witwe die Sammlung verkaufen, doch keiner wollte sie haben. Schließlich wurde sie geteilt und ging an das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg und die Berliner Kunstbiblio­thek. Während meiner Professur in Berlin ließ ich sie mir einmal zeigen. Sie war in einem katastrophalen Zustand bezüglich der Art, wie sie wahrgenommen wurde. 

FOTOHITS: Bilder entstehen zunehmend am Computer. Wird sich die Fotografie endgültig in eine Kunst- und Gebrauchssparte aufteilen?

F.C. Gundlach: Fotografie ist einfach ein Medium, um Kunst zu machen – Schluss, aus. Ich akzeptiere die Trennung in angewandte und nicht-angewandte Kunst nicht. Wenn ein Foto außerhalb seines Entstehungskontextes und nach 20 Jahren noch beeindruckt, dann ist es ein gutes Bild.