Interview

Sabine Kress: Die Shaolin

Sabine Kress: Die Shaolin-Mönche

Das Shaolin-Kloster in China ist legendär wegen seiner Kung-Fu-Mönche. Felix Kurz und Sabine Kress durften als erste Reporter in Bereiche eintreten, die Touristen verboten sind. Die Fotografin berichtet, wie sie ihre spektakulären Aufnahmen erzielte.

FOTO HITS: Wie kommt man auf die Idee, für vier Wochen nach China ins Shaolin-Kloster zu reisen?

Sabine Kress: Ich interessierte mich schon lange für den Buddhismus. Und dann gab es das Zusammentreffen mit Felix Kurz. Er war schon zweimal im Kloster und erzählte mir bei einem Treffen davon. Ich überlegte, dass es ein gutes Thema für einen Bildband ergäbe. Er fand die Idee sofort großartig. Felix schrieb den Text für „Die Shaolin-Mönche“ und ich hatte als Fotografin den Zugang zum Kloster. 

FOTO HITS: Wie erhielten Sie die Erlaubnis, dort zu fotografieren?

Sabine Kress: Wir bekamen die Genehmigung des Abts, weil man Felix im Kloster kannte. Shi Yongxin übt dort seine eigene Hoheit aus und bestimmt selbst. Daher ergaben sich bezüglich der chinesischen Regierung keine Probleme. Außerdem wünscht der Abt, mit dem Buddhismus in die Welt hinauszugehen. Daher ist er interessiert, dass Fotografen oder Journalisten kommen. Allerdings gelangte noch niemand in die inneren Räume. Wir waren die ersten, die eine Genehmigung bekamen. 

FOTO HITS: Im Bildband setzen Sie sich auch mit dem Vorwurf auseinander, dass das Kloster eher eine Touristenfalle wäre.

Sabine Kress: Das sehe ich anders. Das Kloster wurde ja 1966 im Zuge der Kulturrevolution zerstört. Die Mönche sind natürlich daran interessiert, es wieder aufzubauen und das geht eben nur mit Geld. Dieses fließt durch Touristen und Spenden, dagegen geht der Eintrittspreis für das Kloster teilweise an die Regierung. 

Die Vorführgruppe im Kloster besteht zumindest teilweise aus ordinierten Mönchen. Dagegen bestehen die Shows, die auf der ganzen Welt touren, oft nicht aus Shaolin-Mönchen. Sie sind zwar technisch perfekt, nennen sich aber nur Mönche. Tatsächlich kommen sie aus den Trainingscamps rund um das Kloster. 

FOTO HITS: Erzählen Sie von Ihrem ersten Eindruck.

Sabine Kress: Ich war sehr überrascht. Ich hatte mir das Kloster anders vorgestellt. Von Mönchen nimmt man ja an, dass sie zurückgezogen leben. Zudem malte ich mir die Räume, in denen sie wohnen, sehr karg aus. Stattdessen wirkt alles ganz bunt.

Zuerst bekommt man nur den touristischen Bereich mit. Er befindet sich innerhalb der Mauern und besitzt kleine Türen nach außen, durch die aber kein Besucher herauskommt. Hier fängt der abgeschlossene Bereich an, wo die Mönche wohnen, meditieren und arbeiten. 

FOTO HITS: Hatten Sie einen festen Arbeitsplan dabei?

Sabine Kress: Wir wollten weder ein Buch über den Buddhismus noch über Kung-Fu gestalten. Wir hatten vielmehr die Idee, die Geschichte einzelner Mönche zu erzählen. Da Felix bereits etwa den Koch oder den Mediziner kannte, besaß er schon ein Konzept, manche Persönlichkeiten entdeckten wir erst vor Ort. Erst ab diesem Punkt konnte geklärt werden, ob derjenige mitmachen wollte. Daher war anfangs offen, was herauskommen würde. Es hätte auch danebengehen können. Zwischendurch hatte ich das Gefühl, genau das würde passieren (lacht).

Außerdem sollte am Anfang jedes Kapitels ein Porträtfoto abgedruckt werden und daneben der handschriftliche Name. Den Fünfjährigen etwa erkennt man schon an der kindlichen Schrift, der Abt besitzt einen starken Pinselschwung, und die Unterschrift des Kalligraphen wirkt sehr elegant.

FOTO HITS: Wie sind Sie an die Mönche herangetreten, die Sie ablichten wollten? 

Sabine Kress: Natürlich musste der Abt sein Okay geben. Dessen ungeachtet sind die Mönche sehr eigen. Wir mussten das Vertrauen jedes einzelnen gewinnen. Wenn er nicht wollte, gab es kein Durchkommen.

FOTO HITS: Wie haben Sie die Sprach­barriere überwunden?

Sabine Kress: Wir hatten einen Übersetzer dabei, Dr. Ding Ding. Trotzdem gestaltete es sich schwierig, da ich gerade als Fotografin auf direkte Verständigung angewiesen bin. Aber es lief auch überraschend gut über Zeichensprache. 

Aber mit Dolmetscher lief es leichter, da er mit der Mentalität vertraut war und mit den Leuten umgehen konnte. Ohne ihn wäre ich in den ersten Tagen verzweifelt. Alleine schon einen Termin bei einem Mönch zu bekommen …

FOTO HITS: Man sollte meinen, er verfügt über endlos viel Zeit?

Sabine Kress: Von wegen, sie haben keine: meditieren, Sutras lesen, Übungen durchführen. Wir hier sagen: Mittwoch um zehn Uhr und dann ist jeder da. Dort ging nichts unter vier bis fünf Anrufen. Alles begann mit einem ersten Telefonat, da ja alle Handys besitzen. Nebenbei: Als ich sie zum ersten Mal mit ihrer Elektronik sah, dachte ich: „Das glaube ich nicht, das ist verblüffend“.

Jedenfalls erfuhr ich, er mache mit, wir sollten uns noch wegen der Zeit melden. Bei diesem Anruf hieß es „Vielleicht übermorgen“, die Uhrzeit war noch immer ungeklärt. Dann folgte der dritte, in dem er sagte: „Am Vormittag“. Wir sollten nochmals telefonieren. Die­se Verzögerung machte mich total nervös, denn vier Wochen sind nicht lang für einen Fotografen. 

Es dauerte zehn Tage, um zu verstehen, dass die Mönche dieses Herantasten brauchten. Außerdem merkte ich, dass die Menschen, wenn der Termin gekommen war, voll engagiert waren.

FOTO HITS: Wie entwickelte sich die Aufnahmesitzung?

Sabine Kress: Zuerst führte Felix das Interview durch. Ich blieb währenddessen in der Nähe. Durch seine Fragen bekamen wir den Tagesablauf mit oder welche spezielle Funktion ein Mönch ausübte.

Ich habe mir die Umgebung angeschaut und mich gefragt: Was gibt es überhaupt drumherum? Was ist sehenswert? Danach musste ich natürlich abklären, ob ich dies oder jenes überhaupt ablichten durfte. 

FOTO HITS: Hatten Sie dann das Ergebnis schon vor dem inneren Auge?

Sabine Kress: Manches war bereits klar: So etwa wollten wir die Mönche in ihrem jeweiligen Umfeld porträtieren: den Apotheker mit seiner Medizin, den alten Mann mit dem Findelkind in seinen Privaträumen, den Kräuterkundler auf dem Berg. 

FOTOHITS: Wie geht man mit einem Mönch als Model um?

Sabine Kress: Das unterschied sich von Mensch zu Mensch. Manche waren zugänglicher, andere  sperriger. Die Mönche sind Individualisten. Anders als der militärische Drill, der in den Kung-Fu-Schulen um das Kloster herrscht, versuchen sie, ihn aus den Menschen herauszubekommen. 

Entscheidend war, als sie nach einer Woche die ersten Bilder sahen. Dadurch haben wir sie für uns gewonnen. Gerade die Kung-Fu-Kämpfer hatten noch nie eine solche Bildqualität gesehen. Als der Cheftrainer dann noch so machte (Kress hält den Daumen nach oben), war ich förmlich geadelt und alle opferten plötzlich mehr Zeit für mich. 

Die Digitalfotografie half mir also sehr dabei, das Vertrauen der Mönche zu gewinnen. So konnte ich etwas zurückgeben, statt nur zu nehmen. Nichtsdestotrotz schätze ich die analoge Fotografie, insbesondere begeistert mich das unverwechselbare Filmkorn. Außerdem arbeitete man früher nicht so rasch wie im digitalen Zeitalter, es lief geradezu meditativ ab.

FOTO HITS: Wie kamen Sie mit den wechselnden Lichtverhältnisse drinnen und draußen zurecht?

Sabine Kress: Im Freien war es diesig und dauerhaft 40 Grad heiß, fast nie gab es blauen Himmel. Das Gedämpfte kann fotografisch nützlich sein, aber bei Gegenlicht wirkt es sehr trist.

Außerdem war es unmöglich, eine günstige Tageszeit zu bestimmen. Da der Kräutermeister ausnahmsweise kein Handy besaß, musste jemand eine Stunde auf den Berg wandern, um überhaupt einen Termin mit ihm auszumachen. Ich selbst war erschöpft, als ich hochstieg. Glücklicherweise trug ein Mönch meine Ausrüstung – ich hätte das nicht geschafft. Er dagegen sprang über die Steine.

Leider verfügte ich oft über wenig Zeit, anders als ich es vom heimischen Studio gewohnt bin. Ich musste rasch die Lichtsituation begreifen und dann mit möglichst wenig Aufwand fotografieren. Manche Aufnahmeserie entstand in einer halben Stunde. Beispielsweise ging der Stockfechter (im Buch auf den Seiten 136/137) einfach los. Ich nahm an, wir würden einen schönen Aufnahmeort aufsuchen. Stattdessen wanderte er auf das nackte Feld und machte im Gegenlicht seine Übungen. Die führte er ein einziges Mal durch, dann war es für mich gelaufen. Weil ich seine Bewegungsabläufe nicht kannte, musste ich mich auf meinen Instinkt verlassen. 

FOTO HITS: Warum stellten Sie Ihre Kamera nicht auf Dauerfeuer?

Sabine Kress: Meine Kamera EOS 1Ds Mark III ist eher langsam und ich verfügte über keinen hochfrequenten Blitz. Also schoss ich Einzelaufnahmen. Bei den Sprüngen etwa musste ich immer den Scheitelpunkt treffen. Vermutlich war der Cheftrainer deshalb so angetan, weil mir das so gut gelang. 

FOTO HITS: War das bei jedem Kampfkünstler nötig?

Sabine Kress: Andere ließen mir drei bis vier Versuche. Sie wussten irgendwann, dass sie mit mir gut zurechtkommen. In der Beziehung arbeiteten sie durchaus professionell. Außerdem machte es ihnen Spaß. Sie wollten immer gleich die Fotos auf dem Display oder dem Laptop anschauen. Neugierig haben sie dann meinen Laptop umlagert. Der fünfjährige Junge dagegen war ein wuseliger kleiner Kerl, dem egal war, was wir vorhatten. 

FOTO HITS: Und wie kamen Sie mit den dunklen Räumen zurecht?

Sabine Kress: Als wir uns in den Räumen aufhielten, wäre Sonne schön gewesen. Sie waren alle sehr dunkel, da es ja kein elektrisches Licht gab und sie keine richtigen Fenster besaßen. Außerdem verfügte ich über nichts, mit dem ich normalerweise arbeite wie etwa Studioleuchten. Das meiste musste zu Hause bleiben, schon weil der Zoll eine Hürde darstellte.

Neben dem Blitz hatte ich einen Aufheller von California Sunbounce dabei, der aber nie zum Einsatz kam. Gelegentlich benötig­te ich ein Stativ und nutzte eine ganze Tasche mit Objektiven. Sie alleine wog etwa zwölf Kilogramm. Dazu kam eine EOS 1Ds Mark III, die ich noch immer für ein Flaggschiff von Canon halte. 

Als künstliche Beleuchtung nahm ich einen normalen Aufsteckblitz. Ich hatte zwar drei dabei, aber ich benutzte nur einen von ihnen. Ein Assistent hielt ihn und stellte sich einige Meter entfernt hin. Manchmal habe ich auch durch ein Fenster geblitzt, um Sonnenlicht nachzustellen.

Einige Blitzeffekte gefielen mir mehr als spektakuläre Sprungfotos. In einem etwa näherte sich ein Mönch schon dem Boden, aber sein Schatten kommt wie eine Comicfigur vor ihm an (siehe Bild ganz oben. Die Redaktion).

FOTO HITS: Trotzdem sind Schlagschatten selten erwünscht. In welchem Ausmaß haben Sie das natürliche Licht genutzt?

Sabine Kress: Es war einsetzbar, wenn die Mönche meditierten. Dann konnte ich lange Belichtungszeiten vorgeben, um den ganzen Raum sichtbar zu machen. Ein Mönch stand etwa wie ein Fels auf einem Bein (Buch Seite 176). Das erlaubte mir, eine Belichtungszeit von einer ganzen Sekunde einzustellen.

Bei schnellen Aktionen habe ich mit hohen Lichtempfindlichkeiten von etwa ISO 1.600 gearbeitet. Das wiederum ermöglichte eine kurze Verschlusszeit. Beispielsweise benötigte ich für das Foto auf dem Buchumschlag 1/750 Sekunde. 

FOTO HITS: Oft versagt der Autofokus in der Dämmerung. Wie meisterten Sie dieses Problem?

Sabine Kress: Tatsächlich griff der Autofokus in den düsteren Räumen nicht. Selbst bei den Qi-Gong-Übungen, bei denen die Menschen sehr still saßen, war es schwierig. Ich habe das Problem gelöst, indem ich den manuellen Fokus eingeschaltet habe und die Mönche zum Scharfstellen kurz mit einer Lampe anleuchtete. 

Für das Coverfoto hingegen legte ich genau fest, auf welcher Höhe der Mönch in den Raum hineinspringen soll. An dieser Stelle hielt mein Assistent einen Gegenstand hoch, auf den ich manuell scharfstellte. Tatsächlich landete der Kämpfer exakt dort, und keine 30 Zentimeter davor oder dahinter. 

FOTO HITS: Wie viele Aufnahmen schossen Sie zirka während der vier Wochen?

Sabine Kress: Gar nicht so viele. Es kamen zwar drei- bis dreieinhalbtausend zusammen. Aber der Grund war, dass sich der Abt dachte: Wenn schon ein Profifotograf vor Ort ist, dann kann er auch fürs Kloster fotografieren. So dokumentierte ich zahlreiche Veranstaltungen, die nicht in den Bildband einflossen. 

FOTO HITS: Wurden Fotos bearbeitet?

Sabine Kress: Ich bereitete sie natürlich für den Druck auf. Aber ich habe an keinem Bild etwas verändert. Wenn an einem Foto etwas nicht stimmte, setzte ich es einfach nicht ein.

Geschätzte 95 Prozent wurden völlig unverändert übernommen. Höchstens fünf von über hundert habe ich etwas beschnitten. Wenn man so lange fotografiert wie ich, stimmen meist sogar bei Schnappschüssen die Bildausschnitte.

FOTO HITS: Manche Aufnahmen wir­ken zu schön, um wahr zu sein, etwa ein Mönch, der auf einem Meeresfelsen meditiert. Gehört das wirklich zu seinem Alltag?

Sabine Kress: Ja. Er hat uns erzählt, dass er oft zu dieser Bucht geht. Er springt dann von Stein zu Stein, um auf eine kleine Insel zu gelangen. Daran ist nichts gestellt, sondern er meditiert wirklich auf ihr.

Das geschah häufiger, etwa bei dem Mönch in der Höhle (deutet auf das Foto auf Seite 140 im Buch). Das schloss für mich als Fotografin aus, ihn darum zu bitten, etwa wegen des besseren Lichts drei Zentimeter nach rechts zu rücken. Er hockte wie angewurzelt da und bekam nichts mehr mit. Wenn wir unsere Aufnahmen beendet hatten, mussten wir warten, bis der Mönch bereit war. Er hat noch ewig gesessen und war nicht ansprechbar. Ich denke, dass diese Ruhe an seinem Gesichtsausdruck ablesbar ist.

Die Shaolin-Mönche

Das Buch enthält 14 umfassend bebilderte und einfühlsame Porträts von Mönchen, die im Shaolin-Kloster leben. Sie reichen vom fünfjährigen Nachwuchs bis zum 86-jährigen Stockfechter. Dafür sprach Felix Kurz mit ihnen und Sabine Kress lichtete sie beim Beten, Arbeiten und Trainieren ab.

Felix Kurz/Sabine Kress: Die Shaolin-Mönche. Edition Braus 2012, Hardcover, 224 Seiten, ISBN 978 3 86228 032 2, Preis: 29,95 Euro

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