Kolumne

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Sonnenuntergänge

Dieses Naturphänomen wird immer wieder gerne meisterlich ins Bild gesetzt. Der Grund, warum wir versuchen, das Verschwinden der Sonne zu dokumentieren, liegt vermutlich in grauer Vorzeit und somit in unseren Genen. Dadurch bedingt sind wir für unser Tun nicht zur Verantwortung zu ziehen. Es sind halt die inneren Stimmen, die uns diese Bilder machen lassen. Wir wissen: Jetzt wird es gleich ziemlich finster, und dann kommt der Säbelzahntiger und wird versuchen, uns zu fressen. Das letzte, was wir sehen, ist der Sonnenuntergang, und diesen lichten wir dann ab. Wenn dann der Säbelzahntiger kommt, halten wir ihm das Display unserer Digitalen unter die Nase. Hier sieht man sofort den Vorteil eines großen Displays. Je größer, desto eher gelingt der Trick. Der Säbelzähnige wird erstaunt den Sonnenuntergang betrachten, den Kopf schütteln und sich von dannen trollen. Er, weil prähistorisch und somit nicht über genügend Hirnmasse verfügend, denkt, es wäre noch zu früh, weil die Sonne noch nicht ganz weg ist. Da der säbelzähnige Bursche ja ein nachtaktives Tier ist, wird er erst ein paar Stunden später wieder auftauchen. Dann sind wir schon längst wieder im sicherem Heim vor dem Fernseher und können in Ruhe Florian Silbereisen schauen.

Also ist dieser Fotozwang, einen Sonnenuntergang bildlich fest zu halten, nichts wirklich Schlimmes. Ich selbst habe sicher ein paar Gigabytes Sonnenuntergänge. Weitere 4.987 Untergänge auf Umkehrmaterial. Diese vergammeln seit Jahren im feuchtesten Teil unseres Kellers.

Wichtig ist beim Sonnenuntergang der richtige Moment des Auslösens. Ist die Sonne nämlich verschwunden wird es meist erstaunlich dunkel.

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Sonnenuntergang verpasst – Eine Möglichkeit ist die Ablage des Bildes unter „Halbmond“.

Merke: Ein zu spätes Auslösen bringt meist ein total unbefriedigendes Ergebnis. Gut, man kann hinterher erklären: „Also 2 Stunden vorher versank die Sonne sehr schön glutrot. Das hättet ihr sehen sollen. Leider war ich zu ergriffen von dem Naturschauspiel und hab' etwas zu spät den Auslöser gefunden.“ Doch der Betrachter wird sich da kein genaues Bild machen können. Denken Sie daran: Kaum einer ihrer Freunde, die sie mit diesen Untergängen quälen, hat eine Vorstellung von einem dramatischen Sonnenuntergang.

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Viel zu früh ausgelöst. – Klar geht hier auch der Kunstgriff mit Ablage unter „Dramatische Wolkenbildung“.

Dann spielt auch die Frage nach der richtigen Zeit- vs. Blendenkombination eine gewaltige Rolle. Diese will sehr wohl genauestens durchdacht sein. Aber man sollte nicht, weil man so fickerig ist, schon am frühen Vormittag den Auslöser betätigen. Das ist dann nämlich kein Sonnenuntergang, sondern eben nur ein schlechtes Foto. So ein Bild kann nicht das Ziel unseres künstlerischen Schaffens sein.

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Zu Lange Belichtung vs. Überbelichtung und dadurch total verwackelt. Die Lösung eines solchen schwerwiegenden Klopfers ist: Man erklärt die Unschärfe zum stilbildenden Ausgangspunkt des Werkes. Hier aber bitte Vorsicht. Manch ein Zeitgenosse wird schnell mit den Wörtern Unscharf – Verwackelt – Überbelichtet auf Sie eindringen. Schleudern sie ihm „Ignorant, Kunstbanause“ an die Birne. Meist hilft das.

Dann kommt es auch darauf an, wo genau der Sonnenuntergang stattfindet. Sehr schöne Untergänge gelingen uns Lichtbildnern allemal auf einem Berg. Diesen gilt es dann erst einmal zu erklimmen. Vorzugsweise sind hier die Höhenzüge über 4.000 Metern besonders gut geeignet. Es geht aber auch im Sauerland. Besonders gerne wird das Versinken des Himmelskörpers am Meer dokumentiert. Das ist weniger anstrengend weil man ja dazu keinen Berg besteigen muss. Hier drängt sich geradezu Capri auf. Nur auf dieser Insel versinkt die rote Sonne im Meer besonders eindrucksvoll. Selbstverständlich kann man das auch am Ballermann machen. Aber Capri sollte unsere erste Wahl sein.

Ich persönlich merke körperlich ganz genau, wo ich Sonnenuntergänge ablichte. Auf dem Berg habe ich Schnappatmung und am Meer, besonders in Weinanbauregionen – Schnapsatmung.

Ohne Stativ wird auch der schönste Untergang verwackeln. Längere Verschlusszeiten kombiniert mit Blende 22 machen doch erst die Tiefenschärfe aus. Aber Vorsicht: Belichtungszeiten von mehr als 1 Stunde führen zu Wischern. Diese sollten besonders Sonnenuntergangsanfänger vermeiden.

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Perfekte Untergänge. Hier gestatte ich Ihnen einen Blick auf meine schönsten Untergänge. Einige werden diese sicher in den Museen dieser Welt, so Sie die aus Versehen mal besuchen, wiedererkennen. Meine Untergänge haben schon ein paar ganz begabten Malern als Vorlage für ihr Werk gedient. Zu nennen sind hier Picasso, Leonardo da Vinci, van Gogh und Sabrina Gesine Hückler. Letztgenannte finden Sie immer mittwochs in der Volkshochschule beim Aquarellkurs. Manchmal tanzt sie sogar einen meiner Untergänge.

Es gibt aber Zeitgenossen, die für so einen Untergang auch ihr Leben lassen. Unfreiwilligerweise.

So ein Sonnenuntergangsfetischist erklomm - scheinbar völlig verwirrt durch den schönen Untergang - einen stehenden Güterzug. Vermutlich wollte er dem Planeten Sonne, in Ermangelung eines Berges, beim Untergang näher sein. Dieser Güterzug setzte sich, oh Wunder, auch in der Nach-Mehdorn Zeit ganz überraschend in Bewegung. Reflex (vermutlich Spiegelreflex) -artig griff dieser Sonnenuntergangsfreak nach einer unter 50 000 Volt stehende Oberleitung, um nicht vom Wagon zu purzeln. Er verkohlte praktisch sofort. Nach 15 Kilometern machte ein Zeuge die Polizei auf einen brennenden Wagon aufmerksam. Dank Kamera und Speicherkarte konnte der Unfall rekonstruiert werden. Diese Bilder wurden mit der Überschrift – Sein letzter Sonnenuntergang – von der Polizei der Akte beigefügt.