Praxis

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Magie auf Glas

Nassplatten-Technik von Alex Timmermans

Der Fotograf Alex Timmermans gibt Hintergrundwissen zur Kollodium-Nassplatten-Technik weiter und gewährt einen Blick hinter die Kulissen.

Die Nassplatten-Technik ist eine sinnliche Erfahrung, der nichts in der Digitalfotografie gleichkommt. Sie verbindet handwerkliche und chemische Fertigkeiten mit Fantasie, um etwas Einzigartiges hervorzubringen. Alex Timmermans gibt nachfolgend einige Erfahrungen weiter.

Der Künstler bevorzugt bewölkte Tage, um seine Projekte durchzuführen. Das weiche Licht schmeichelt nicht nur den Modellen, sondern erlaubt es auch, die Belichtungszeit genau zu kontrollieren. Aus ähnlichen Gründen liebt er es, im Wald zu arbeiten.

Die Praxis macht deutlich, warum lange Belichtungszeiten zweckmäßiger sind: Da Timmermans Kamera keinen Verschluss besitzt, nimmt er zur Belichtung einfach den Objektivdeckel ab. An einem sonnigen Tag müsste er ihn nach etwa einer halben Sekunde wieder aufsetzen, was kaum zählbar ist. Besser sind die durchschnittlich zwei bis vier Sekunden einzuschätzen, die bei weniger Licht erforderlich sind.

Normales Filmmaterial würde bei Tag bei einer solchen Langzeitbelichtung überstrahlen. Doch im Gegensatz zum üblichen Minimalwert ISO 100 besitzt eine Kollodium-Nassplatte gerade einmal ISO 0,5 bis ISO 1. Dies macht nebenbei verständlich, weshalb die Bewegungsstudien von Eadweard Muybridge um 1872 technisch revolutionär waren: Seine Kollodium-Trockenplatten gestatteten ihm im Gegensatz zu Nassplatten eine unerreichte Verschlusszeit von 1/6.000 Sekunde.

Nichtsdestotrotz sieht Timmermans einen großen Vorteil in dem von ihm bevorzugten Verfahren: Ähnlich wie bei einem Polaroid kommt er rasch zu einem sichtbaren Ergebnis. Die wenigen Entwicklungsschritte kann Timmermans in seiner mobilen Dunkelkammer durchführen. Um hingegen einzuschätzen, ob eine Trockenplatte etwas geworden ist, müsste er sie zuerst vom Wald in die Dunkelkammer bringen.

Die belichtete Nassplatte muss innerhalb von zirka einer halben Stunde entwickelt werden, schon nach etwa 15 Sekunden erscheint ein Negativ. Früher betteten es Fotografen etwa auf schwarzen Samt, das aus ihm ein Positiv machte: an durchsichtigen Stellen trat der schwarze Hintergrund hervor, während das graue Silberpulver weiß erschien – ein exquisites Einzelstück, das auch heute noch begeistert.

Lost, 2013

Die Belichtungszeit hierfür betrug zwei Sekunden. Timmermans benutzt niemals einen Belichtungsmesser. Da er seine Objektive genau kennt, verlässt er sich auf Schätzungen.

Tea Time, 2013

Um die Kollodium-Nassplatten sofort entwickeln zu können, baut Timmermans vor Ort seine eigene Dunkelkammer auf. Sie besteht aus einem Zelt, wie es kanadische Eisfischer benutzen, das innerhalb von Minuten aufzubauen ist. Drinnen verfügt er über Rotlicht und einen großen Tisch, um darauf Schalen mit Wasser und Chemikalien zu stellen. Außerdem bringt er einen Tank für Silbernitrat, einen Plattenhalter und einen Behälter für Brauchwasser unter. Das bedeutet, dass er manchmal neben den zirka zehn Kilogramm des Zelts bis zu 100 Kilogramm Ausrüstung durch unwegsames Gelände transportieren muss.

Der Regenmacher, 2015.

Für seine Außenaufnahmen verwendet Timmermans meist eine Kamera für Platten mit zwölf mal zwölf Zoll. Sie ließ er extra für sich anfertigen, ansonsten greift er auf historische Modelle zurück.

Bei alten Objektiven besteht das Problem, dass das Auflagemaß anders als bei modernen Systemkameras schwer bestimmbar ist. In der Folge ist auch der Fokuspunkt nicht werkseitig eingestellt, sondern ein Fotograf ist auf sich gestellt. Auch hier verlässt sich Timmermans auf seine langjährigen Erfahrungen. Er vergleicht sich mit einem Zimmermann, der mit seinem Hammer jeden Nagel blind einschlagen kann.

Schwanensee, 2015

Bei diesem Foto lag Timmermans ausnahmsweise mit seiner geschätzen Belichtungszeit daneben. Er hatte die zusätzliche Lichtreflexion durch das Wasser nicht einberechnet. Solche Unwägbarkeiten machen die Nassplatten-Technik zu einer ständigen Herausforderung.

Frühjahrsputz, 2015

Wo etwa auf dem Waldboden nur wenig UV-Licht hinkommt, entstehen auf Fotos tiefere Schatten, als man per Augenschein annimmt. Dieses Details mit einzurechnen, erfordert wieder langjährige Übung.

Chemie-Baukasten

Jede Kollodium-Nassplatte muss man in Handarbeit anfertigen.

  • Die Grundlage der Mixtur ist Kollodium. Dazu kommen Ammoniumiodid, Cadmiumbromid und Ether.
  • Die Mixtur kommt auf eine gewöhnliche Glasplatte, auf der nach dem Trocknen innerhalb weniger Minuten ein klebriger Überzug bleibt. Alternativen hierfür sind geschwärztes Glas oder dünne Aluminiumplatten. Sie besitzen den Vorteil, dass statt eines Negativs sofort ein Positiv entsteht (siehe Erläuterung auf der vorigen Seite).
  • Ein Bad in einer Silbernitratlösung macht die Platte schließlich lichtempfindlich.

Auch die Entwicklungsflüssigkeit stellt Timmermans selbst her.

  • Ihr Hauptbestandteil ist Eisensulfat. Diese lagert er gebrauchsfertig in seinem Kühlschrank, wo sie monatelang vorhält.
  • Eine Geheimzutat ist Zucker. Er dient dazu, die chemische Reaktion der belichteten Platte zu verzögern. Dies ist etwa bei warmen Temperaturen erforderlich, die solche Prozesse beschleunigen.
  • Gewöhnliches Leitungswasser dient als „Stoppbad“, um das vorherige Entwicklerbad zu neutralisieren.

 

 

Alex Timmermans

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Der 1962 geborene Niederländer Alex Timmermans brachte sich die Technik der Kollodium-Nassplatten selbstständig bei. Mittlerweile ist er mit seinen Werken international erfolgreich.

Er stellte sie bereits auf der „Paris Photo“ in Los Angeles und der „Photo Shanghai“ aus. Darüber hinaus werden seine Werke in vier Galerien in den USA und Europa verkauft. Auf seiner Website zeigt er unter anderem in einem Video, wie seine Aufnahmen entstehen. Im eigenen Blog berichtet er zudem über aktuelle Projekte.

www.alextimmermans.com