Kolumne

Foto und Form

Foto und Form

Schönheit liegt keineswegs im Auge des Betrachters. Die Auffassungen von ihr sind vielmehr im Denkapparat dahinter angesiedelt. 

Der Buchautor Dr. Michael Lobisch-Delija vermittelt, welche Gestaltungsregeln unseren Schönheitssinn bestimmen. Im ersten Teil stellte er den Goldenen Schnitt und die Drittelregel, im zweiten gibt er weitere Anregungen. Das Buch zur Serie geht mittlerweile in die 2. Auflage.

Folge 2: Symmetrie und ihre Brechung

Wie der in meiner ersten Kolumne behandelte Goldene Schnitt begegnet uns auch die Symmetrie auf Schritt und Tritt in der Natur, in Kunst, Handwerk und Musik. Fast jeder hat beispielsweise einen Teppich im Haus, der von der Schönheit einer symmetrischen Gestaltung lebt.

Ist bei Bodenbelägen die reine, ungebrochene Symmetrie die Regel, lebt die Fotografie eher von der gebrochenen Symmetrie, welche den Reiz zusätzlich erhöht. Hier könnte man etwa an die Aufnahme einer sich kräuselnden Wasserspiegelung denken. Die Symmetriebrechung hilft außerdem, die allfällige Lethargie des Ornamentalen zu vermeiden.

[Bild 1] Ich steige mit einem Foto ein, das wegen seiner strengen Geometrie zu meinen Lieblingsbildern gehört. Zum Glück hielt der abgebildete Zeitungsleser so lange still, bis ich das Objektiv gewechselt und meine Aufnahme gemacht hatte.

Dieses Bild wird einerseits von der Symmetrie des Hintergrunds geprägt, die andererseits vielfältig gebrochen wird. Das macht meiner Ansicht nach auch den besonderen Reiz dieser Aufnahme aus.

[Bild 2] In der Skizze neben dem Foto sind die aufragenden Konstruktionselemente der Brücke gelb markiert. Diese ergeben infolge der Diagonalen eine Aufwärtsströmung. Letztere wird auch von den rechts von der Mitte befindlichen Dia­gonalen mitgetragen, obwohl sie eigentlich von (Mitte) links oben nach rechts unten verläuft, was nach einer allgemein anerkannten Regel den Blick nach unten leitet. In diesem Bild ist jedoch die Symmetrie so mächtig, dass auch die rechts liegenden Diagonalen als aufwärts verlaufend empfunden werden!

Man sieht also, dass es von den meisten Regeln Ausnahmen gibt – was die Sache spannender macht. Die Symmetrie wird durch das im Hintergrund schemenhaft erkennbare Hochhaus weiter unterstrichen.

[Bild 3] Die Brechung der Symmetrie (grün markierte Elemente in der Skizze auf der vorhergehenden Seite) erfolgt im Vordergrund durch die Figur des Zeitungslesers sowie durch das seitlich versetzte Fahrzeug (dessen Außenspiegel zudem verkehrswidrig frech herunterhängt). Die sich in der Nähe des Goldenen Schnitts befindliche menschliche Figur bildet gleichzeitig ein Gegengewicht zur rechtslastigen Fahrzeugsilhouette, wodurch die Asymmetrie des Vordergrunds harmonisiert wird.

Im Hintergrund erkennen wir weitere Stahlseile, die von links oben nach Mitte/rechts unten verlaufend eine leichte Abwärtsdrift erzeugen und die Symmetrie des Hintergrunds pfiffig konterkarieren. Noch weiter hinten sieht man dann weitere dynamisch gespannte Konstruktionselemente, die dem Auge zusätzlich Nahrung geben. Diese Aufnahme wurde mit einem Teleobjektiv gemacht. 

Vor dem Tele- verwendete ich ein Weitwinkelobjektiv und nahm das folgende Foto auf:

[Bild 4] Auch hier springt uns wieder die geballte Symmetrie an, die aber durch den leicht versetzten und nicht streng symmetrischen Vordergrund wiederum reizvoll gebrochen wird.

[Bild 5] Hinzu kommt eine durch die Größenverhältnisse und Fluchtliniendynamik verstärkte Tiefenwirkung. Auch die Proportionen zwischen Vorder- und Hintergrund sind in die beliebten, weil als schön empfundenen, Drittel aufgeteilt. Der Zeitungsleser im Hintergrund spielt inhaltlich keine große Rolle mehr, sondern übernimmt allenfalls die Funktion eines witzigen Accessoires.

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Bild 4: Weitwinkelansicht der Straßenszene.
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Bild 5: Symmetrie mit Versatz gelb markiert.

Mit Fluchtpunkten gliedern

[Bild 6] Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch ein Landschaftspanorama zeigen, dessen angedeutete Symmetrie sich vor allem aus der Fluchtpunktgeometrie speist. Dabei lebt die Hügelkette im Hintergrund zwar vom Reiz der Wiederholung, aber weist eben keine strenge Symmetrie mehr auf. Hier sorgen vielmehr die Mischung aus dem fast symmetrischen Vordergrund und dem zwar unsymmetrischen, aber aus sich wiederholenden Elementen bestehenden Hintergrund für eine gewisse Wirkung.

Wie zu sehen ist, gibt es viele Möglichkeiten, mit der Symmetrie und ihrer Brechung zu spielen. Dabei übt das Prinzip der Strukturwiederholung nicht nur in der Spiegelung seinen Reiz aus.

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Bild 6: Die Landschaft ist ein Beispiel für ein teilsymmetrisches Panorama.

Eine teure Ausrüstung erweitert die fotografischen Möglichkeiten. Entscheidender für die Bildqualität ist aber, wie man nutzt, was verfügbar ist – egal ob Kompakt- oder Spiegelreflexkamera. Das Buch vermittelt hierfür wichtige formale Grundsätze, etwa wie man Flächen, Linien und Perspektiven gekonnt einsetzt. Zahlreiche Fotos veranschaulichen, wie sie wirken. Anhand der Beispiele lernt man, mit Formen und Farben beeindruckende Wirkungen zu erzielen. Der Leitfaden wurde für den „Deutschen Fotobuchpreis 2015“ nominiert.

Michael Lobisch-Delija: Wie wirkt mein Bild? mitp 2014, 2. Auflage 2016, Softcover, 196 Seiten, ISBN 978 3 8266 9694 7, Preis: 19,99 Euro

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