Erstellt von FOTO HITS-Redaktion
| Kategorien:  Literatur  

Roger Ballen baut Seelenmaschinen

Allzu menschlich

Jeder Mensch, dem man begegnet, lässt sich in seiner Mannigfaltigkeit nicht erfassen – egal wie genau man mit der Kamera auf ihn scharfstellt. Der Fotograf Arnold Newman etwa löste das Problem, indem er die Umgebung kunstvoll einbezog. Beispielsweise lichtet er den Musiker Igor Strawinsky zusammen mit seinem Konzertflügel ab. Riesig und schwarz beherrschte das Instrument das Foto, während Strawinsky an den Bildrand gedrängt wurde. Nur der Winkel des Arms und des Flügeldeckels schufen eine intensive Verbindung. Indem Newman vom Gesicht abließ, konnte er eine Person besser als jeder andere charakterisieren. Roger Ballen geht ähnlich vor, doch breitet er die nackte Existenz vor dem Betrachter aus.

Ballen sucht er nicht das Individuelle, sondern entkleidet die Menschen bis unter die Haut. Ein Beispiel verdeutlicht vielleicht das Bild. Ein Chirurg etwa würde fragten: An welchem Ort finde ich die Seele, wenn Nerven und Knochen bloßliegen? Ähnlich unerbittlich geht Ballen vor. Erst seziert er das selbstverliebte Menschenbild. Dann Ende zeigt er dem Betrachter einen Menschen, der weitaus größer als die Summe seiner Einzelteile ist. Damit ist er einer der wenigen Fotokünstler dieses Jahrhunderts, die etwas wirklich neues geschaffen haben.

Wer noch nie die gute Stube seines Gehirns verlassen hat, wird sich von den Schattenkammer – so der Titel einer Bilderserie – abgestoßen fühlen. Denn das bedeutet, etwa Kretins oder verelendete Buren zu betrachten. Dies muss sich jeder klar machen, der sich Ballens Bilder stellt. Es sind Menschen, die am Rande der menschlichen Gesellschaft oder sogar jenseits von dem stehen, was die Mehrheit akzeptiert. Schutzlos sind sie der Welt ausgeliefert, die in jeder Pore ihren Schmutz und ihr Leid abgelegt hat. Diese auf die Frage „Was ist der Mensch“ reduzierten Gestalten ergänzt Ballen durch Drähte, Tiere oder Ritzzeichnungen in den Wänden. Die ungeheuerliche Maschinerie, die daraus entsteht, dürfte kaum jemanden unberührt lassen. Und wer sich wahrhaft für die Möglichkeiten und Grenzen der Porträtfotografie interessiert, kommt an dem Bildband nicht vorbei.

Roger Ballen: Photographs 1969 – 2009. Kerber 2011, 146 Seiten, Hardcover, ISBN 978 3 86678 462 8, Preis: 44,80 Euro

 


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