Erstellt von FOTO HITS-Redaktion
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Fotoausstellung: Captivate!

Entfesselt

Eine Ausstellung in Düsseldorf blickt auf die Modefotografie der 1990er-Jahre zurück. Die Kuratorin Claudia Schiffer wählte den Titel „Captivate!“, was man als packen oder bezaubern übersetzen kann. Neben kreativen Freiheiten wurden damals auch die Supermodels entfesselt.

Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalasts Düsseldorf, sagte: „Dass Modefotografie in ein Kunstmuseum gehört, [...] daran besteht heute kein Zweifel mehr.“ Zwar dürften nur wenige Leser bestreiten, dass die Bildkunst etwa von Helmut Newton museale Weihen verdient. Aber die flatterhafte Mode selbst muss sich noch immer rechtfertigen.

Warum die Scheinwelt der Mode lebenswichtig ist, erhellt ein Gedankenspiel: Die Erde wäre die Hölle, wenn alle Menschen ehrlich zueinander wären. Einerseits wäre es unerträglich, immer die eigenen Gefühle zu enthüllen, andererseits will niemand ständig von den Befindlichkeiten anderer belästigt werden. Verhüllungen erleichtern also das Zusammenleben. Das gilt noch mehr für das verschleiernde Textil, das so verschleiernd gar nicht ist. Denn im Gegensatz zur scheinbar ehrlichen Nacktheit macht erst die Kleiderwahl kenntlich, was eine Persönlichkeit ausmacht.

Der modische Individualismus erhielt in den 1990er-Jahren einen entscheidenen Schub. Die dick aufgetragene Glamour-Schicht der 1980er zerbarst und eine neue Lust am Experimentieren brachte teils widersprüchliche Stile hervor. Viele der neuen Stars hinter der Kamera waren zwar die alten: Mario Testino, Peter Lindbergh oder Herb Ritts hatten bereits lange Karrieren hinter sich. Aber sie konnten freier als in den Jahren zuvor experimentieren, da ihnen neben etablierten Modemagazinen wie der Vogue hippe Newcomer wie i-D oder Face eine Plattform gaben.

Claudia Schiffer bestätigte im Ausstellungskatalog, dass Modemagazine wie Bibeln studiert wurden. Demzufolge musste jedes Detail einer Kampagne stimmen. Für den steigenden Aufwand wurden höchst bereitwillig Unsummen bezahlt. Um etwa den leicht zerzausten Schick von Naomi Campbell hinzubekommen, war ein immer größer anschwellender Tross von Agenturen, Art-Direktoren und Stylisten erforderlich. 

Wenn heute das Schlagwort „Diversity“ lautete, dann war es in den 1990ern „Personality“. Das Interesse an ihr brachte es mit sich, dass die Super-Models plötzlich in Talk-Shows nach ihrer Meinung gefragt wurden. In der Folge übernahmen manche von ihnen sogar mehr Kontrolle über ihre Vermarktung – ein völliges Novum. Statt nur wandelnde Kleiderständer zu sein, gründeten beispielsweise Heidi Klum oder Claudia Schiffer eigene Agenturen und Ellen von Unwerth startete nach einer Karriere vor eine neue hinter der Kamera. 

Vergleicht man die Ära der Super-Models mit dem Heute, ist die Fallhöhe erheblich. Nie zuvor präsentierte sich die Mode trivialisierter. Statt Hochglanzmagazine prägen sie Internet-Influencer oder Trash-Formate wie „Germany’s Next Top-Model“. Einzelne Persönlichkeiten spielen demgemäß eine geringe Rolle. Stattdessen verhandelt die Mode-Industrie weitreichende gesellschaftliche Konflikte. Als ein Widerspruch etwa gehen jetzt selbstverständlich einbeinige Models über den Laufsteg, andererseits wird ein indianischer Federschmuck als beleidigende Aneignung empfunden. Mode als Seismograph funktioniert also noch immer.

Captivate!

Die Ausstellung ist bis zum 9. Januar 2022 im Museum Kunstpalast Düsseldorf zu besichtigen. Die 150 gezeigten Aufnahmen wählte das Supermodel Claudia Schiffer aus. 

Begleitend zur Ausstellung Captivate! erscheint im Prestel-Verlag ein edel aufgemachter Katalog. Er gibt ein Gespräch zwischen Felix Krämer und Claudia Schiffer wieder und versammelt Essays der Modekennner Carine Roitfeld, Christiane Arp und Ellen von Unwerth sowie Zitate von Persönlichkeiten aus der Modebranche. Im Museum kostet der Bildband 48 Euro, im Buchhandel 55 Euro.

www.kunstpalast.de


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