Erstellt von FOTO HITS-Redaktion
| Kategorien:  Literatur  

Fotobuch: Vera Mercer

Unsterblich

Barocke Stillleben mahnten, sich im Dies- aufs Jenseits vorzubereiten. Ihre Symbolik schloss durchaus ein, Sinnenfreuden bewusst zu erleben. Den Aspekt betont die Fotografin Vera Mercer erkennbar. Zudem verraten manche ihrer Arrangements einen feinen Sinn für Humor.

Im 17. Jahrhundert erlebte das Stillleben seine Blütezeit. Leider welkten seine Betrachter schneller dahin, als die Ölfarbe auf der Leinwand trocknen konnte. Pest, Krieg und Hunger machten den Tod allgegenwärtig, weswegen das Hier und Jetzt umso leidenschaftlicher gefeiert wurde. Daher stellten eine Hasenkeule plus Totenkopf – heute für manche überraschend – einen Gegensatz dar, wobei Ersterer als potenzielle Mahlzeit für das pralle Leben stand. Der moderne Veganer sieht’s mit Grausen. 

Vera Mercer zelebriert diese barocke Gefühlswelt noch immer, aber mit neuzeitlichen Techniken. Erste Anregungen gaben ihr Streifzüge durch die legendären Pariser „Les Halles“, die 1970 abgerissen wurden. Dort gab es von frischen Guaven bis zu abgehangenem Wild einfach alles. Mittlerweile bringen ihr etwa befreundete Jäger das nötige Getier.

Die Techniken, mit denen sie ihre Arrangements ablichtet, sind erstaunlich einfach: Im Wesentlichen benutzt sie zur Beleuchtung Kerzen, Tageslicht und natürliche Reflektoren wie Silberteller. Ähnlich schlicht, aber äußerst trickreich ist ihre Hintergrundgestaltung: Gelegentlich benutzt sie Fotodrucke, die sie hinter ihre Objekte stellt. Mit ihrer Hilfe kann sie die Schärfeebene, Raumtiefe und Staffelung freier gestalten, als es ihr die Kameraoptik technisch erlaubt. Dementsprechend begeistert der erste Teil des Bildbands mit geradezu surrealen Farben und Formen. 

Eine noch größere Überraschung sind die Platindrucke im zweiten Teil des Buchs.  Das historische Verfahren wurde 1873 von William Willis patentiert, Mercer eignete es sich meisterhaft an.

Schon das Edeldruckverfahren selbst erfreut durch Grauwertabstufungen, die die Buchseiten überzeugend reproduzieren. Darüber hinaus reizt Mercer das chemische Verfahren mit ihrer Lichtsetzung aus. Diese modelliert nuancenreich die Härchen auf einer Quitte oder die Adern einer Lotosblüte heraus. Da sich die Künstlerin kontemplativ in solche Feinheiten versenkt, nimmt sie die Opulenz stark zurück: Sie beschränkt sich auf wenige Blumen und Früchte. Nur ein toter Maulwurf auf einem Kürbis bezeugt ihren barocken Humor.

Bereits 2010 und 2017 ehrte FOTO HITS die Künstlerin mit mehrseitigen Portfolios. Doch selbst nach all den Jahren überrascht ihre neue Publikation, was angesichts eines eher verhaltenen Sujets wie dem Stillleben bemerkenswert ist. Teils gelangen ihr noch eigenwilligere Arrangements etwa aus Fisch und Rettich, teils gestaltete sie Platindrucke mit asketischer Strenge.

Matthias Harder (Hrsg.): Vera Mercer. New Works, DCV Verlag 2021, 96 Seiten, Hardcover, Deutsch und Englisch, ISBN: 978 3 96912 049 1, Preis: 28 Euro.


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