Panoramafotografie - Die Pioniere

Brookside Stadion in Cleveland/USA um 1914
Brookside Stadion in Cleveland/USA um 1914

Panoramen entwickelten sich vom Flickwerk zu künstlichen Realitäten, die dem Holo-Deck in „Raumschiff Enterprise“ nahekommen. Das Beste daran ist: Viele dieser Möglichkeiten stehen Fotografen offen, ohne sie mit Technikgefrickel zu belästigen. Ein Rückblick.

Ein Panorama auf Fotopapier besitzt heute einen eher altväterlichen Charme: Es begnügt sich damit, vor dem Betrachter etwa eine Landschaft auszubreiten, die er gemächlich mit den Augen erwandert. Doch unsere Urgroßväter urteilten ganz anders darüber: Vor über 200 Jahren galt es bei manchen als Teufelszeug, das die Sinne verwirrt. Die rasanten Entwicklungen der letzten Jahre betrachtet auch heute mancher skeptisch, Stichwörter sind etwa „VR-Brillen“ oder „Augmented Reality“. Sie sind schon jetzt allgegenwärtig, da man sich hierfür nur ein Smartphone vor die Augen setzen muss. Hier lernt man die Pioniere der Panoramafotografie kennen. Von ihnen sind einige spannende Anekdoten zu erfahren.

Der Sündenfall
Ein Panorama ist mehr als ein Rundblick, sondern vielmehr eine Weltsicht. Als solche erregte es immer wieder Skandale. Dies begann mit propagandistischen Schlachtengemälden des 19. Jahrhunderts, die patriotische Aufwallungen erzeugen sollten. Zuletzt sorgte „Google Street View“ für Aufregung, da sich mancher Betrachter in den Panoramen ungewollt als Beobachteter wiederfand.

Als Geburtsstunde des Panoramas kann man das Jahr 1787 ansetzen, als Robert Barker erstmals das Wort aus den altgriechischen Bestandteilen „pan“ (gesamt) und „horama“ (Sicht) zusammensetzte. Außerdem ließ er die Idee eines Gebäudes patentieren, das um ein 360-Grad-Gemälde herumgebaut wurde. Der Rundbau hatte unter anderem den Zweck, nur gegen Bezahlung Zutritt zu gewähren. Wie jede neue Technik wurde auch das Panorama angefeindet: Erstens verführte es als optischer Kunstgriff zur Schaulust, was es nach Meinung von Zeitgenossen in die Nähe von Betrug rückte. Zweitens besudelte es die schwärmerischen Naturvorstellungen der Romantik, da nun jeder Dorftrottel für kleines Geld eine erhabene Landschaft besuchen durfte. 

Das Urbild
Am 22. Mai 1848 erstellte der Amerikaner William Southgate Porter das erste bekannte Panoramafoto der Welt. Es bestand aus acht Daguerreotypien, die nebeneinander gelegt die Fairmount-Wasserwerke in Philadelphia zeigten. Am 24. September 1848 hievten er und Charles Fontayne eine Kamera auf ein Hausdach am Hafen von Newport/Kentucky. Sie war auf das gegenüberliegende Ufer des Ohio gerichtet, wo die Stadt Cincinnati lag. Auch diese Ansicht hielten sie in acht Daguerreotypien fest. Quicklink: fairmount 

Cleveland Police Department, um 1918
Cleveland Police Department, um 1918

Erste Schritte
Die grundlegende Technik für Spezialkameras führte der österreichische Apotheker Joseph Puchberger ein. Mit Patent Nummer 4245 meldete er am 10. Juli 1843 den „Ellipsen- Daguerreotyp“ an, ein eher simples Gerät, das der Wiener Optiker Wenzel Prokesch für ihn baute. Ein handbetriebener Drehmechanismus bewegte eine Kamera, die auf diese Weise einen Blickwinkel von 150 Grad abdeckte. Das Motiv wurde als 61 Zentimeter lange Daguerreotypie belichtet.

Etwas ausgefeilter und daher erfolgreicher war das „Megaskop“ von Friedrich von Martens, das ein Jahr später auf dem Gebiet des „Deutschen Bunds“ das Licht der Welt erblickte. Seine Kamera war mit gebogenen Platten ausgestattet – ein entscheidender Vorteil. Das optische System drehte sich mithilfe von Zahnrädern, die einen gleichmäßigen Rundlauf erlaubten. Der Erfolg war vor allem in der Tourismusindustrie groß. Denn ab zirka 1865 gab es von zahlreichen europäischen Städten Panoramaaufnahmen, die an Souvenirständen zu kaufen waren.
Ein weiterer Fortschritt schaffte die starren Platten ab. Diese einfache Verbesserung stellte eine Revolution dar. Denn die biegsamen Trägermaterialien, die ab 1888 aufkamen, ermöglichten auch flexiblere Kamerakonstruktionen. Dutzende von Spezialmodellen kamen auf den Markt, etwa die „Wonder Panoramic“ (1890) oder das Périphote der Brüder Lumière (1900). Die erste Panoramakamera für den Massenmarkt kam 1898 in den USA auf den Markt, die Al-Vista. Ein Jahr später zog die Firma Kodak mit einem eigenen Modell nach. Beide benutzten Rollfilm.
Die Evolution der Panoramakameras ging ab diesen Urmodellen im Wesentlichen zwei Wege: Entweder bewegte sich ein Objektiv vor einem langen Film oder beide bewegten sich um 360 Grad. Einige ausgefallene Erfindungen belebten die technischen Fortschritte:

  • Die Eisenbahngesellschaft „Chicago and Alton Railroad“ wünschte im Jahr 1900 einen ihrer Züge komplett abzulichten. Hier sprang George Lawrence ein, der für seine Firma mit dem Spruch warb: „Das bislang in der Fotografie Unmögliche ist unsere Spezialität“. Er entwarf eine Riesenkamera namens „Mammoth“ (deutsch: Mammut). Sie wurde von 15 Arbeitern bedient, wog 635 Kilogramm und erzeugte das Bildformat 2,4 mal 1,4 Meter.
  • George. R. Lawrence benutzte 1906 neun riesige Drachen, um mit ihnen Luftaufnahmen aus über 600 Metern Höhe zu schießen. Sie waren nötig, um eine Panoramakamera mit mehr als 22 Kilogramm Gewicht abheben zu lassen.
  • Der Hofapotheker Dr. Julius Neubronner aus Kronberg ließ sich manches Rezept per Brieftaube schicken. Der Amateurfotograf verband Beruf und Hobby miteinander, indem er um 1912 eine Miniaturkamera samt Zeitauslöser an der Brust eines Vogels befestigte (siehe Bild oben). Seine „Doppel-Sport-Panoramakamera“ erzeugte Bilder im Format drei mal acht Zentimeter. Die Friedenssysmbole wurden im Ersten Weltkrieg sogar als Luftaufklärer eingesetzt.
  • Die „Fairchild Camera Corp.“ Entwickelte für die US-amerikanische Luftwaffe eine Kamera, die in einem Raketenkopf untergebracht war. Sie machte Rundblicke von 180 Grad, die auf Fotopapier mit 5,7 mal 25,4 Zentimetern belichtet wurden. 

Bild
Dr. Julius Neubronner schnallte ab 1912 seinen Tauben Mini-Kameras um, um Luftaufnahmenzu erhalten. Der linke Vogel trägt das Panorama-Modell.

Analoge Geräte
Die Panoramafotografie fristete zu analogen Zeiten ein Nischendasein. Spezialkameras waren teuer und Einzelfotos mussten zusammengeklebt werden. Selbst Lösungen wie das aus APS-C-Filmen entstandene APS-P-Format waren eine Mogelpackung: Das Material wurde oben und unten auf ein langes 3:1-Verhältnis beschnitten und dann im Fotolabor vergrößert, was die Detailschärfe verminderte. Angesichts der vielfältigen Kamerakonstruktionen ist nur eine verkürzte Auswahl darstellbar. Mancher Leser wird sich an das eine oder andere Modell erinnern:

  • Die Schweizer Firma Seitz hatte immer einen guten Namen in der Branche. Ihr erstes Modell kam 1955 auf den Markt. Mithilfe eines rotierenden Unterbaus schoss es eine 360-Grad-Aufnahme mit einer 10-Millimeter-Optik. Sie gelangte auf einen 16-Millimeter-Film.
  • Die japanische Panorax Zi-A von 1958 gehörte zu den ersten Panoramakameras, die das praktische Kleinbildformat verwendeten.
  •  Preiswerte Alternativen kamen wie so oft aus der Sowjetunion, etwa die „Horizon 202“ von 1989 oder die „Horizon S3pro“ von 2004, beide vom Hersteller „Zenit“.
  • Die Noblex Pro 06/150 HS stellte ab 1994 das Kamera Werk Dresden her. Die batteriegetriebene Kamera deckte einen Blickwinkel von 146 Grad ab und besaß einen Rollfilm mit 120 Millimetern.

Doch hatten die filmbasierten Modelle keine Chance gegen die unschlagbar einfache digitale Panoramafotografie. Nur unter den Fans etwa von Lomography halten sich noch immer Modelle, die mit Film arbeiten, wie etwa die „Spinner 360°“.

Digitale Welten
Mit dem „DC Logitech Fotoman“ war zwar 1991 die erste für jeden erschwingliche Digitalkamera auf dem Markt. Aber von eingebauten Panoramaprogrammen war man noch weit entfernt. Stattdessen machte die Software „Quicktime 1.0“ von Apple 1992 den Anfang. Sie wurde oft noch mit eingescannten Papierfotos gefüttert, die man in stundenlanger Programmierarbeit an der Textkonsole zusammenfügen musste. Trotzdem kostete „Quicktime VR“ um 2.000 US-Dollar, zusätzlich war ein Apple-Computer erforderlich, für den nochmals 4.000 US-Dollar zu berappen waren. Ein Ergebnis ist unten auf dieser Seite zu sehen. Es entstand während der photokina 1996 im Auftrag des „Arbeitskreis Digitale Fotografie“ (adf). Das Ende für „Quicktime VR“ erfolgte im Dezember 2015, als Apple die Funktion still und heimlich aus seinem Betriebssystem OS X entfernte. Die Computersprache HTML5, die den aktuellen Standard im Internet bildet, hatte es obsolet gemacht.

Die erste der Redaktion bekannte Digitalkamera mit Panoramafunktion war 1997 die Casio QV-700. Innerhalb von zwei Jahren brachte fast jeder Kamerahersteller Modelle auf den Markt, die einen Panoramamodus beinhalteten. Auf der photokina 2000 warb dann der Hersteller „Spheron VR“ mit dem „ersten ausgereiften System für digitale Rundumfotografie“. Deren „Panocam 12“ brachte es auf immerhin 100.000 horizontale Pixel.

Heute, Jahre später, wirkt auch dies antiquiert. Mittlerweile kann man in Räumen herumtollen, die teils real, teils künstlich sind. Kameras nehmen hierfür Szenerien als stereoskopische 3D-Videos samt Ton auf. Sie dienen als Grundlage für Videospiele, in denen sich Menschen in leeren Zimmern bewegen, die aber dank VR-Brille beliebige Oberflächen erhalten. Doch trotz aller Computerspielereien entstehen solche Wunderwerke meist noch mit solidem Handwerkszeug: mit Stativen, Pano-Köpfen oder Weitwinkel-Objektiven.

Bild
Der Arbeitskreis Digitale Fotografie (adf), den der FOTO HITS-Chefredakteur Dr. Martin Knapp mitbegründete, war ein Vorreiter bei der„QuickTime“-Technik. Die Datei im Format „MOV“ entstand an der Textkonsole in stundenlanger Programmierarbeit.