Interview

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Magie auf Glas

Alex Timmermans

Viele Fotografen beklagen die digitale Bilderschwemme. Dagegen umgibt die Kollodium-Nassplatte eine Aura, die nur einem Unikat zukommt. Und so entdecken immer mehr Liebhaber das historische Edelverfahren. Alex Timmermans, ein Meister dieser Technik, führt in sie ein.

FOTOHITS: Woher kommt die Entscheidung, eine fast altertümliche Technik einzusetzen?

Alex Timmermans: Als Kind benutzte ich die Kamera meines Vaters, eine Nikkormat. Ich verwendete also zuerst analogen Film und wechselte dann um 2002 oder 2003 zur Digitalfotografie. Nach wie vor betrachte ich sie als wundervolle Methode, Bilder zu machen. Doch irgendwann fehlte mir die Herausforderung. Bei einem Shooting schoss man 200 bis 300 Fotos, und da sie nie wirklich perfekt waren, kam „Adobe Photoshop“ zum Einsatz. 

Ich wollte wieder zur analogen Fotografie zurück. Zufällig sah ich einen Film über die Kollodium-Fotografie, stellte einige Nachforschungen an und begann selbst damit. Es hat mich sofort voll erwischt.

FOTOHITS: Augenblicklich scheint es eine richtige Mode zu sein. Worin sehen Sie die Ursache?

Alex Timmermans: Diesen Trend zu „Vintage“ findet man überall, etwa bezüglich Polaroids. Ähnliches gilt für Langspielplatten und Musikkassetten. „Vintage“ ist derzeit eine Goldgrube. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass etwa meine Kinder (sie sind 21 und 23 Jahre alt) niemals eine Filmrolle in Händen hielten. Für sie ist das alles neu.

FOTOHITS: Warum benutzen Sie nicht das digitale „DxO Film Pack“? Selbst der renommierte Sebastião Salgado nutzt es, und das Ergebnis könnte vergleichbar ausfallen.

Alex Timmermans: Natürlich gelingt vergleichbares auch mithilfe von „Adobe Photoshop“. Ein exzellenter Bildbearbeiter kann damit durchaus erstaunliche Ergebnisse zaubern. Es geht aber um den Weg, eine solche Kollodium-Nassplatte herzustellen. Für mich ist das Wesentliche dabei, eine Balgenkamera und historische Objektive zu handhaben.

Ich bevorzuge beispielsweise Petzval-Linsen. Die lichtstarke Konstruktion mit dem eigenwilligen Bokeh berechnete um 1840 der Wiener Mathematikprofessor und Physiker Joseph Maximilían Petzval.

Diese Objektive zusammen mit dem Kollodium-Prozess verleihen meinen Bildern ihren speziellen Charakter. Ich liebe es einfach, mit dieser Technik zu arbeiten. 

Jimmy Nelson
Jimmy Nelson
Laundry Day
Laundry Day

FOTOHITS: Wie haben Sie das Edeldruckverfahren gelernt?

Alex Timmermans: Ich besuchte 2009 in den Niederlanden einen Kurs, doch bestand er mehr aus einer allgemeinen Vorführung. Ich erfuhr die Rezepte und durfte eine Platte produzieren. Weitere Informationen bezog ich aus dem Internet. Doch kommt es vor allem auf die Praxis an. Es ist das Gleiche wie bei einem Schreiner: Er kann zeigen, wie ein Hammer benutzt wird. Dann muss man selbst üben – es ist ein Prozess.

Mittlerweile habe ich selbst einige Kurse gegeben. Manche Schüler gaben allerdings nach einem halben Jahr auf und verkauften ihre Ausrüstung. Ihnen war nicht klar, wie viele Mühen es kostet, ein einziges Bild herzustellen.

FOTOHITS: Wie lange dauerte es, bis Sie ein akzeptables Ergebnis erhielten?

Alex Timmermans:  Etwa ein halbes Jahr. Das war recht lange, aber anfangs stand ich vor einem Problem mit der Rezeptur. Auf die Lösung kam ich erst durch Zufall. Danach konnte ich bereits ansehnliche Resultate erzielen.

FOTOHITS: Wo bekommen Sie Ihre Materialien her?

Alex Timmermans: Ich hatte eine entsprechende Ausrüstung schon vorher über einen langen Zeitraum hinweg gesammelt. Aber um ehrlich zu sein, wusste ich damit wenig anzufangen. 

Die Chemikalien dagegen sind einfach zu bekommen, da sie ja nach wie vor in Gebrauch sind – auch außerhalb fotografischer Bereiche. Kaliumsulfid ist jedoch eine sehr gefährliche Chemikalie, man muss damit umzugehen wissen. Daher ist sie schwer zu bekommen. Allerdings vergleiche ich es gern damit, eine Toilette zu putzen. Wenn man drei WC-Reiniger zusammenrührt, wird es ebenfalls riskant. Der Benutzer muss also in jedem Fall wissen, was er tut. 

FOTOHITS: Was für eine Kamera benutzen Sie?

Alex Timmermans: Mein Modell ist ein Neubau, den ein Schreiner aus Ungarn hergestellt hat. Man könnte auch eine historische Kamera kaufen, aber die Preise sind rapide gestiegen. Da sich die Technik zunehmender Beliebtheit erfreut, fahndet gefühlt jeder nach solchen Modellen.

Eine neue Kamera ist schon ab 2.000 Euro zu bekommen. Richtig teuer sind dagegen die Objektive, die im Preis weit über den Bodys liegen. Es gibt keinen Markt für neue Linsenkonstruktionen, daher verwende ich wie gesagt das schon fast antike „Petzval“. In diesem Bereich gab es früher einige Marken: Dallmeyer, Voigtländer sowie einige französische Produkte von Hermagis oder Darlot.

Melanie
Melanie
Samy
Samy

FOTOHITS: Angesichts des recht sperrigen Zubehörs: Wie planen Sie eine Aufnahme?

Alex Timmermans: Das kann durchaus schwierig sein. Für ein normales Porträt kann ich auf mein eigenes Studio und meinen Großformatdrucker mit selbst gemischter Tinte zurückgreifen. Doch für die Serie „Story Telling“ musste ich einen geeigneten Aufnahmeort finden und war dort vom Wetter abhängig. 

Am Aufnahmetag selbst muss ich nur wenig ändern. Hier gibt es kaum Spielraum für Experimente, da ihn die Technik begrenzt: An einem Tag kann ich maximal zehn Glasplatten herstellen und belichten. Aber da ich mich so lange mit einem Projekt beschäftigt habe, existiert es ähnlich einem Gemälde bereits in meinem Kopf. 

FOTOHITS: Glasplatten sind zerbrechlich. Verarbeiten Sie sie weiter?

Alex Timmermans: Ich säubere sie, scanne sie ein und stemple mit „Adobe Photoshop“ letzte Staubteilchen weg. Dies ist die einzige digitale Retusche, die ich vornehme. Danach gebe ich sie auf einem meiner Großformatdrucker von Epson aus. 

FOTOHITS: Amortisieren sich die Kosten durch den Verkauf?

Alex Timmermans: Ich könnte mit der Kollodium-Fotografie meinen Lebensunterhalt bestreiten. Aber ich möchte mir die Liebe zu dieser Technik erhalten. Würde ich hauptberuflich Porträts mit dem Kollodium-Verfahren herstellen, müsste ich auch Menschen ablichten, die ich für langweilig halte. Das macht es schwieriger, ein gutes Bild zu erhalten. Schließlich kommt es darauf an, zu demjenigen vor der Kamera ein emotionales Verhältnis zu entwickeln. Wenn das fehlt, kann man es auch im Foto nicht ausdrücken.

Scarecrow
Scarecrow
The Kite Runner
The Kite Runner

Alex Timmermans

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Der 1962 geborene Niederländer Alex Timmermans brachte sich die Technik der Kollodium-Nassplatten selbstständig bei. Mittlerweile ist er mit seinen Werken international erfolgreich. Er stellte sie bereits auf der „Paris Photo“ in Los Angeles und der „Photo Shanghai“ aus. Darüber hinaus werden seine Werke in vier Galerien in den USA und Europa verkauft. Auf seiner Website zeigt er unter anderem in einem Video, wie seine Aufnahmen entstehen. Im eigenen Blog berichtet er zudem über aktuelle Projekte.

www.alextimmermans.com