Interview

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Wiedergeburt des Sofortbilds

Wiedergeburt des Sofortbilds

Das digitale weltweite Klicken zerstöre den Moment, so Stefanie Schneider. So entstehe eine Generation ohne Erinnerungen, aber mit vollgestopften Festplatten.

Dem gegenüber stellt jedes ihrer Polaroids ein Ereignis dar, das viele Erzählungen in sich birgt. FOTO HITS fragte die Fotografin nach dem Phänomen "Sofortbild", das entgegen allen Erwartungen höchst lebendig ist.

FOTO HITS: Mit welcher Kamera fotografieren Sie?

Stefanie Schneider: Ich arbeite mit allen Polaroid-Amateurkameras: SX-70, Captiva, 600, Spectra, Big Shot, Sequence Camera, Polaroid Land Cameras. Für einige von ihnen gibt es allerdings heute keine Filme mehr.

FOTO HITS: Polaroids erscheinen auf den ersten Blick rückwärtsgewandt. Was finden Sie daran zeitgemäß?

Stefanie Schneider: Wenn man diesem Argument folgt, wäre auch die analoge Fotografie und ebenso die Malerei rückwärtsgewandt. Für mich war Analoges immer gegenwärtig, schon als ich das erste Mal mit Polaroidmaterial gearbeitet habe. Es war nur als Medium teilweise vergessen. Und für die nächste Generation ist das Analoge wieder interessant, weil es ihr neu erscheint.

Ich kann verstehen, dass jeder, der im digitalen Zeitalter aufgewachsen ist, sich über den Nutzen des Analogen wundert. Ich habe es mir bewusst ausgesucht, denn greifbare Schönheit ist nicht zu ersetzen.

FOTO HITS: Tatsächlich gibt es neben Polaroids einen deutlichen Trend zu alten Techniken, etwa analoge Schwarz-Weiß-Entwicklung oder gar Kollodium-Nassplatten. Wie lautet Ihre Prognose für deren Überleben?

Stefanie Schneider: Schon vor Jahren war ich mir sicher, dass die analogen Medien wieder an Bedeutung gewinnen würden. Meines Erachtens hat die digitale Welt in ihrer Gesamtheit einen Punkt erreicht, an dem sie die meisten Menschen überfordert und somit entsteht eine Rückbesinnung auf die analoge Zeit. Ich denke, dass sich dieser Trend in allen Lebensbereichen verstärken wird, etwa indem man Nahrung selbst anbaut et cetera.

FOTO HITS: Sie benutzen gerne abgelaufene Polaroid-Filme. Arbeiten Sie trotzdem mit den neuen Filmen von des Herstellers "Impossible"?

Stefanie Schneider: Ja, seit Anfang an gab es eine enge Zusammenarbeit mit Impossible, von Filmtests bis zu gemeinsamen Projekten. Hier darf ich Florian Kaps zitieren: "It was Stefanie Schneider, who inspired me to start the company "The Impossible Project" after seeing her work, which seems to achieve the possible from the impossible, creating the finest of art out of the most basic of mediums and materials. Indeed, after that one day, I was so impressed with her photography that I realized Polaroid film could not be allowed to disappear. Being at the precise moment in time where the world was about to lose Polaroid, I seized the moment and have put all my efforts and passion into saving Polaroid film. For that, I thank Stefanie Schneider almost exclusively, who played a bigger role than anyone in saving this American symbol of photography."

("Es war Stefanie Schneider, die mich dazu inspirierte, die Firma "The Impossible Project" zu gründen, nachdem ich ihre Arbeiten gesehen hatte, welche das Mögliche angesichts des scheinbar Unmöglichen erreichten, nämlich die feinste Kunst aus dem Elementarsten des Mediums und Materials zu erschaffen. Tatsächlich war ich innerhalb eines Tages so von ihren Aufnahmen beeindruckt, dass ich erkannte, dass der Polaroidfilm nicht verschwinden dürfe. Während ich mich an exakt an jenem Zeitpunkt befand, an dem die Welt dabei war, das Polaroid zu verlieren, ergriff ich die Gunst der Stunde und nahm alle Anstrengung und Leidenschaft zusammen, um den Polaroidfilm zu retten. Dafür bedanke ich mich bei Stefanie Schneider in besonderem Maße, denn sie spielte eine größerer Rolle als irgendjemand sonst, dieses amerikanische Musterbeispiel für Fotografie zu bewahren.")

Außerdem hat in diesem Sommer Willem Baptist, ein niederländischer junger Filmemacher, einen Film über das Polaroidmedium gedreht. Meine Arbeit repräsentiert in diesem Film den künstlerischen Aspekt des Materials. Willem filmte sowohl bei meinen Produktionen in Kalifornien, die von "Impossible" mit Filmen gesponsert wurden, als auch bei einer Ausstellung in Berlin, in der Florian Kaps die Rede hielt.

FOTO HITS: Was macht gerade Polaroids für Sie so reizvoll?

Stefanie Schneider: Ich arbeitete 1996 erstmals mit abgelaufenem Polaroidmaterial. Es besitzt wunderbare Eigenschaften und fängt meine Vision vollkommen ein. Das betrifft einerseits die Farben und andererseits den magischen Moment, in dem das Bild erscheint. Die Zeit scheint stillzustehen und man teilt die Entwicklung des Bilds mit den Menschen, die einen umgeben. Dieser Moment ist jedes Mal einzigartig, er ist greifbar und hell.

Dagegen bleibt der digitale Moment für immer in der „Box“ verschlossen, womit Box die Festplatte, die Kamera oder den Computer meint. Er selbst kann niemals angefasst, ins Fotoalbum geklebt, in einem Brief verschickt oder an die Wand gehängt werden. Erst durch die Vergrößerung wird der Moment vollendet.

Die analoge Welt ist selektiv, sie schafft Bilder unseres kollektiven Gedächtnisses. Das weltweite digitale Klicken hingegen zerstört den Moment. Eine Generation ohne Erinnerungen entsteht, aber mit Informationsüberfluss bis hin zu abgestürzten Festplatten.

FOTO HITS: Über die Vergänglichkeit von Fotos im Allgemeinen und Papierfotos im Besonderen kann man ausgiebig philosophieren. Evident ist für den Betrachter aber der direkte Eindruck verblichener Farben. Was schätzen Sie an dieser Palette?

Stefanie Schneider: Rein technisch gesehen führt der gestörte fotochemische Prozess des Ausgangsmaterials zu überzeichneten Farben, Unschärfen und Fehlstellen auf den Bildern. Der Effekt wird durch nochmaliges Abfotografieren und Vergrößern der Polaroidaufnahmen zusätzlich gesteigert.

Künstlerisch gesehen wirkt das abgelaufene Material seltsam entrückt und emotional aufgeladen. In ihm lassen sich die Sphären von Realität, Fiktion und Traum nicht mehr eindeutig differenzieren.

FOTO HITS: Dazu muss erwähnt werden, dass Ihre Polaroids Bestandteile von Filmen sind, die zudem durch Musik, Dialoge und Videosequenzen ergänzt werden. Nur wenige Künstler wie Anton Corbijn schaffen es, Filme und Fotos gleichermaßen meisterhaft zu handhaben. Wie eigneten Sie sich die nötigen Fähigkeiten an?

Stefanie Schneider: Ich studierte Film und Fotografie. Im Zuge dessen schnitt ich noch Dokumentarfilme auf dem Schneidetisch oder drehte kleine Kurzfilme auf Super-8. Dazu las sich unendlich viele Bücher oder analysierte Filme. Als ich erstmals eine digitalen Filmendfertigung vornahm, saß ich gleichzeitig zum ersten Mal an einem Computer.

Als Künstler muss man sich meist mit allem auskennen: Filmsets, Kostüme, alles über das Fotografieren, Editieren und den Ton. Daher dauert es auch schon einmal vier Jahre bis ein Film fertig ist.

FOTO HITS: Ihre Filme erzählen meist eine Geschichte. Wie entwickeln Sie diese?

Stefanie Schneider: Das ist ganz unterschiedlich. Die frühen kleineren Geschichten entstanden meist spontan. Die Serie „Frozen“ sah ich plötzlich vor meinem inneren Auge. Ich hatte dann stets den blauen Unterrock, das Messer und das Kunstblut im Auto dabei, falls ich irgendwann von dem perfekten See stehe.

„29 Palms, CA“ entstand aus den persönlichen Geschichten meiner Freunde und mir. Diese Erlebnisse gerieten zu einer Katharsis auf unserer eigenen Wüstenbühne. Aus ihnen entstanden einzelne Bestandteile von "29 Palms, CA" wie „Sidewinder“, „Till Death do Us Part“, „Oxana's 30th Birthday“, "Stage of Consciousness“ bis hin zu „The Girl behind the White Picket Fence“.

Zwischendurch wachte ich morgens mit die Idee der „Lonely Hearts Radio Show“ auf, die erstmals als der „Lonely Hearts Room“ in Berlin in meiner Ausstellung „29 Palms, CA“ vorgestellt wurde. Die Figur eines DJs verbindet die Charaktere miteinander, die meist in der Einsamkeit der Wüste ihre eigenen Geschichten schreiben oder versuchen, zu verstehen, wer sie sind und was es mit der Liebe auf sich hat.

FOTO HITS: Woher kommt die Vorliebe für amerikanische Wüstenlandschaften in Ihren Filmen?

Stefanie Schneider: Südkalifornien repräsentiert für mich einen Traum. Zuerst hat mich der Kontrast zwischen Norddeutschland, wo ich aufwuchs, und dem endlosen Sonnenschein von Los Angeles angezogen. Das klare, strahlende Licht der "High Desert" Südkaliforniens bei der Stadt Twentynine Palms ist ein wichtiger Bestandteil meiner Arbeit.Weite, offene Landschaften gewähren Perspektiven, die Emotionen und Sehnsüchte artikulieren lassen. Und die Einsamkeit in ihnen nährt Gefühle von Freiheit.

Hier sehe ich eine Verbindung zu den Soforbildern: Ein abgelaufener Polaroidfilm erzeugt Unvollkommenheiten, die für mich den Verfall des amerikanischen Traums widerspiegeln. Diese so genannten „Unvollkommenheiten“ stellen die Realität dieses Traums dar, der sich in einen Alptraum verwandelt.

FOTO HITS: Kann man Sie sich als klassische Regisseurin am Set vorstellen, die exakte Anweisungen gibt, wer wo steht?

Stefanie Schneider: Die Szenen werden wir bei einem klassischen Set vorbereitet und dann von den Schauspielern durchgespielt. Da alles fotografiert wird, müssen Szenen oft wiederholt werden, damit man die Bilder hinterher gut aneinanderschneiden kann. Da wir nur mit sehr kleinen Teams arbeiten und der Ton hinterher aufgenommen wird, sind unsere Drehs unauffällig und leise.

Nachdem die Abfolge im Kasten ist, beginnt die Arbeit, die sich eher wie klassische Regie anfühlt: der Ton, die Dialoge. Dabei arbeitet ich eng mit den Schauspielern zusammen.

FOTO HITS: Diese Montage bricht mit den normalen Sehgewohnheiten eines Betrachters. Wie kommt trotzdem eine zusammenhängende Erzählung zustande?

Stefanie Schneider: Der rhythmische Wechsel versetzt den Betrachter in eine Art Trance. Nach kurzer Zeit hat sich das Gehirn jedoch an ihn gewöhnt und die Bilder fügen sich zu einem Fluss zusammen. Denn unser Unterbewusstsein füllt die Leerstellen aus, was dem Betrachter eine tiefere und persönlichere Erfahrung erlaubt. Wenn er mir vertraut, führe ich ihn an einen Ort, an dem er vielleicht noch nie gewesen ist.

Stefanie Schneider

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Werke von Stefanie Schneider waren bereits in zahlreichen Ausstellungen zu sehen, etwa im Museum für Photographie Braunschweig, Museum für Kommunikation in Berlin, dem Institut für Neue Medien in Frankfurt, dem Nassauischen Kunstverein in Wiesbaden, dem Kunstverein in Bielefeld, dem Museum für Moderne Kunst Passau, Les Rencontres d‘Arles und der Foto-Triennale Esslingen. Interessenten erhalten exklusive Abzüge, etwa ausgewählte Editionen oder individuelle Handarbeiten aus der Dunkelkammer, unter www.ebay.de/usr/polaroids69 oder www.saatchionline.com/29palms.

www.instantdreams.net