Interview

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Lichtblicke

Akt mit Available Light

Sacha Leyendecker kommt ohne aufwendige Studiobeleuchtung aus. Er blickt sich in einem Raum um und erkennt, wo sich die Hot Spots für eine Aktaufnahme befinden. Diese Fähigkeit kann jeder lernen. Der nachfolgende Artikel vermittelt, wie man ein Auge für natürliches Licht entwickelt.

FOTO HITS: Dein Geschäftsmodell entspricht dem eines neuen Fotografentyps: Statt sich alleine auf den Bildverkauf zu verlassen, setzen Du auch auf Workshops, Fotoreisen und eine starke Internet-Vernetzung. Hattest Du das von Anfang an so geplant?

Leyendecker: Ich bin Quereinsteiger und dachte eher, ich fotografiere auf Hochzeiten oder was normale Porträtfotografen sonst machen. Doch wegen des guten Feedbacks in den sozialen Medien baute ich das Geschäftsfeld mit den Lehrgängen und Coachings auf. Damit war auch klar, dass ich meine Bilder recht weit streuen muss, dass sie also viel gesehen werden müssen.

FOTO HITS: Hier wirft etwa Facebook allen Erotikfotografen immer wieder Knüppel zwischen die Beine. Sobald eine Brustwarze zu sehen ist, werden sie gesperrt. Wie gehst Du damit um?

Leyendecker: Über das Thema Social Media und sinnliche Fotografie sprach ich gerade mit Michael Omori Kirchner. Das Problem wird auch maßgeblich von Apple forciert, die ebenfalls keinen entsprechenden Content haben wollen. Daher sind auch alle Hersteller von Apps dazu verpflichtet, solche Inhalte einzudämmen. Das geschieht aktuell beispielsweise auf der großen Fotografenplattform 500px. Sobald etwas als NSFW, also "Not Safe for Work" oder deutsch "Nicht für den Arbeitsplatz geeignet" eingestuft wird, wird es herausgefiltert. Das geschieht sogar dann, wenn ich einem Fotografen bewusst und freiwillig folge.

Man darf also zwar auf 500px die Bilder veröffentlichen, aber sie werden aussortiert. Da heutzutage das Smartphone das maßgebliche Konsummedium darstellt, ist die Sperrung für mich deutlich bemerkbar.

FOTO HITS: Tatsächlich gibt es wenige Grenzüberschreitungen, stattdessen sackt die Aktfotografie gelegentlich eher in Langeweile ab, etwa mit dem hundertsten Po im Gegenlicht. Hast Du schon bei eigenen Fotos gedacht, dass sie mutiger hätten sein sollen?

Leyendecker: Wie weit man geht, ist ein schmaler Grat. Ich tue mir schwer damit, noch provokanter zu sein, obwohl meine Fotografie in den letzten Jahren durchaus mutiger wurde. Aber man muss sich auch fragen, was entweder gesellschaftlich oder bei Firmenkooperationen noch funktioniert.

Manche Workshops etwa führe ich Namen großer Kamerahersteller durch. Hier muss man aufpassen, bestimmte Grenzen nicht zu überschreiten, ansonsten ist man schnell wieder draußen.

FOTO HITS: Wurde Dir schon in die Parade gefahren?

Leyendecker: Wenn ich mit einem Hersteller unterwegs bin, wird klar kommuniziert, dass es nicht zu sexy sein darf. Ein Großteil meiner Bilder funktioniert daher nicht mehr. Ich arbeite auch für die Fujifilm School, und da ist Akt schlicht nicht erlaubt, also biete ich stattdessen Dessous- oder gleich Porträt-Shootings an.

FOTO HITS: Aktuell erlebte ich als Grenzerfahrung ein Buch von Laurent Benaim, das jüngst im Verlag Taschen erschien. Hier sieht man Geschlechtsverkehr bis hin zu Gruppenorgien. Das ist bezüglich des Themas legitim, da man Sex und Erotik nicht komplett auseinander dividieren kann. Wie viel Sex verträgt Deiner Meinung nach die Aktfotografie?

Leyendecker: Sex ist vielleicht das falsche Wort, aber Erotik gehört definitiv zur Aktfotografie dazu. Für die meisten Fotografen stellt sie der Antrieb dar, um in diesem Bereich tätig zu sein.

Ich denke nicht, dass man es auf die reine Ästhetik reduzieren kann. Es muss auf einer stilvollen erotischen Ebene geschehen. Das ist eben jener schmale Grat - wenn man hier nicht aufpasst, wirkt es schnell billig und nicht hochwertig.

FOTO HITS: Kannst Du das genauer bestimmen?

Leyendecker: Man kann es nicht an einzelnen Faktoren festmachen, sondern nur an der Gesamtwirkung eines Bilds. Es geht um die Herangehensweise: Manche Fotografen wie Helmut Newton fotografierten provokanter. Aber die Ergebnisse weisen einen besonderen Witz, Charme oder ein Ambiente auf. Egal, wie ein Fotograf das schafft - wenn es ihm gelingt, ist es für mich gute Kunst, falls nicht, dann sehe ich das eben anders.

Meine Frau ist ein großer Fan des amerikanischen Fotografen Terry Richardson, was ich nicht verstehe. Es ist natürlich gut, den Geschmack der breiten Masse zu treffen, aber die individuelle Wahrnehmung ist trotzdem ausschlaggebend. Dem einen erscheint ein Bild positiv und künstlerisch, dem anderen nicht.

FOTO HITS: Dafür kommt es meiner Meinung nach weniger auf Form und Inhalt, sondern auf die Persönlichkeit desjenigen hinter der Kamera an. Letztlich ist er es, der sich vor dem Betrachter mit seinen Fantasien entblößt.

Leyendecker: Richtig, es spielt immer sehr viel vom Fotografen mit hinein, das man wiederum herauslesen kann.

FOTO HITS: Gestalterisch unsichere Fotografen flüchten sich gerne in die Fetisch-Abteilung mit Accessoires wie Strapsen oder Ketten. Was rätst Du Deinen Workshop-Teilnehmern, damit sie einen eigenen Stil entwickeln?

Leyendecker: Sie sollten visuell gute Inhalte konsumieren, Bildbände von anerkannten Fotografen sind hier die erste Anlaufstelle. Dann wird sich sicher ihr Geschmack differenzieren, was sich wiederum auf die eigene Gestaltungsweise auswirkt. Die Eingebungen kommen ja nicht immer ganz von selbst.

Wenn es in den Fetischbereich geht, empfehle ich gerne das Buch "Fräulein" von Ellen von Unwerth. Sie spielt auf eine gekonnte Weise mit dem Thema. Wenn ich das erfasse, kann ich selbst etwas hochwertiges gestalten.

FOTO HITS: Frau von Unwerth geht sehr humorvoll und locker an solche Aufnahmen heran. Das ist manchem zu empfehlen, der allzu bemüht Erotik inszeniert. In der konkreten Situation dürfte bei Dir helfen, dass Deine Frau das Make-up macht, was Vertrauen schafft und zudem der Cockerspaniel umhertollt.

Leyendecker: Sie arbeitet zuerst mit dem Model, was eine familiäre und vertrauensvolle Atmosphäre schafft. Daneben ist für mich wichtig, sprachliche Barrieren zu vermeiden. Gerade im internationalen Bereich muss im Vornhinein klar sein, in welche Richtung es geht. Dabei kann es leicht zu Missverständnissen kommen, wenn etwa die gewünschte Atmosphäre übersetzt werden soll.

Wenn ich ein melancholisches Foto kreieren will, das zugleich sexy wirkt, ist das schwer zusammenzubringen. Daher ist es üblich, mit Moodboards zu arbeiten, also Kartons, die Beispielfotos oder Zeichnungen enthalten.

Das Model wiederum sollte informiert sein, wenn es frontal und mit wenig Kleidung fotografiert wird, sodass es sagen kann, was okay ist. Wenn auf dieser Basis Vertrauen geschaffen wird und beide Seiten die gleichen Bilder im Kopf haben, lässt sich sehr gut arbeiten.

FOTO HITS: Frau von Unwerth empfiehlt, ein Model selbstständig agieren zulassen, gerade die professionellen wüssten oft die besten Posen. Erlaubst Du das auch?

Leyendecker: Grundsätzlich gebe ich Freiraum, aber aufgrund meiner Aufnahmetechnik ist das nur eingeschränkt möglich. Das beginnt bei der Lichtkomposition: Eine Frau von Unwerth hat immer einen Assistenten dabei, der etwa den Blitz entlang der optischen Achse ausrichtet. Das Model kann also machen, was es will, es steht immer im richtigen Licht. Dagegen arbeite ich mit Available Light und arbeite etwa mit Gegen- oder Streiflicht.

FOTO HITS: Das macht Dich im hohen Maß witterungsabhängig. Wie stellst Du dich darauf ein?

Leyendecker: Die Available-Light-Fotografie ist planungsintensiv. Ich muss also flexibel sein und unter Umständen meine Pläne über den Haufen schmeißen, um etwas ganz anderes zu machen. Daher habe ich auch universal einsetzbare Moodboards, auf die ich zurückgreifen kann.

Ein Studio beziehungsweise seine Fenster muss nicht immer zur beliebten Nordseite ausgerichtet sein. Bei einer Ost- oder Westlage kann man zu einer bestimmten Tageszeit mit direkter Sonne und zur restlichen entspannt ohne sie fotografieren.

FOTO HITS: Was ist mit Abschattern und ähnlichen Hilfsmitteln?

Leyendecker: Wir verfügen über relativ breite Außenjalousien, die sich kippen lassen. Wenn im Sommer die Sonne hoch steht, kann ich sie wunderbar blocken und nur das Himmelslicht hineinlassen.

Im Winter jedoch, wenn die Sonne lange tief steht, geht das nicht. Dann benutze ich Diffusoren, von denen ich trotzdem kein großer Freund bin. An zwei bis drei Monaten müssen sie sein, aber sie streuen das Licht zu sehr, sodass es matschig wirkt.

FOTO HITS: Sehr nüchtern betrachtet verlangt Aktfotografie vorrangig die Fähigkeit, Licht auf Haut zu setzen. Wie sieht Du das?

Leyendecker: Jein. Es ist ein Aspekt, aber ich selbst binde auch viel Szenerie in eine Aufnahme ein. Daher ist auch das Lichtverständnis im Raum entscheidend. Mein Hauptmotto lautet: Das Licht kommt zuerst. Wenn ich Indoor arbeite, kann ich es eventuell durch die Rolladen beeinflussen, aber nicht im Raum herumspiegeln. Es ist also maßgeblich dafür, wie und wo ich in einem Raum fotografieren kann.

Beispielsweise suche ich ein gutes Kontrastverhältnis, das knackige, aber nicht allzu kontrastreiche Bilder produziert. Danach richte ich das Setting aus. Statt Studioblitze verschiebe ich also den Tisch und die Couch, um mir eine Szenerie in diesem günstigen Licht zu schaffen.

FOTO HITS: Dieses eher allgemeine Gefühl für Licht dürfte in Deinen Workshops schwer vermittelbar sein. Wie schaffst Du das?

Leyendecker: Zu Beginn ist das Model nicht im Raum. Wir fangen an, das Licht im Raum zu analysieren. Es zu verstehen, ist für mich die Grundlage meiner Fotografie. Ich habe Jahre dazu gebraucht. Dorthin will ich auch die Teilnehmer bringen. Obwohl dieser Unterrichtsteil immer ähnlich abläuft, kommen manche von ihnen regelmäßig, bis ein Grundverständnis vorhanden ist.

FOTO HITS: Wie entwickelte es sich bei Dir? Waren gemäß Newton-Zitat die ersten 10.000 Aufnahmen die schlechtesten, woraufhin du immer besser werden wolltest?

Leyendecker: Das Verlangen, immer besser werden zu wollen, war tatsächlich immer da und ist es noch immer. So lernte ich ziemlich schnell. Fehlt es dagegen und jemand sieht die Fotografie nur als Hobby, dauert es länger.

FOTO HITS: Bei meinen Workshops bin ich immer ehrlich und nehme nie ein Blatt vor den Mund. Schließlich geschieht es auf einer sachlichen Ebene. Ich erkläre immer, warum ein Bild nichts wurde, und im nächsten Satz, wie man es besser machen kann. Das schätzen meine Teilnehmer und deshalb kehren sie immer wieder.

Ich lasse im Praxisteil die Teilnehmer selbständig arbeiten. Beispielweise wird ein Model in vier Runden fotografiert. Wenn etwas nicht gelingt, ist das okay, es dürfen durchaus Fehler gemacht werden. Wenn ich nach der ersten Runde eine ehrliche Kritik und Anregungen bekomme, wie es besser klappt, bleibt das in der zweiten Runde hängen oder nehme es sogar mit nach Hause.

Andere Fotodozenten gehen umgekehrt vor. Sie machen mehr vor oder bauen ein fertiges Setting auf. Da die kreative Eigenleistung letztlich vom Lehrer kommt, ist es schwierig, das Ergebnis zu kritisieren.

FOTO HITS: Anderes Thema: Deine Aktaufnahme sind farbig. Das durfte man zunehmend seit den 1970er Jahren, ohne als vulgär zu gelten. Warum kein edles Schwarz-Weiß?

Leyendecker: Weil ich es gut kann [lacht]. Viele meiner Motive wirken einfach besser in Farbe. Das hat seine Gründe: Schließlich steckt eine durchdachte Farbpalette dahinter. Außerdem ist sie für mein Geschäftsmodell wichtig: Ich kann die Farbkomposition unterrichten und habe mir bis hin zur Bildbearbeitung einen Arbeitsprozess angeeignet, der einen Wiedererkennungseffekt besitzt. Das darf ich nicht vernachlässigen.

 Aber da mir persönlich Schwarz-Weiß-Bilder eher zusagen, fotografiere ich auch immer wieder gerne welche - gewissermaßen für die Seele.

Sacha Leyendecker

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Kann man Licht lernen? Ja! Diese Fähigkeit gibt der Kölner Fotograf in Workshops und Einzel-Coachings weiter. Dazu kann man Online-Coachings etwa über die Plattform Patreon buchen. Intensivkurse erleben Teilnehmer auf seinen Fotoreisen.

www.sacha-leyendecker.com

www.patreon.com/sachaleyendecker

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