Interview

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Mehr als Bomben

Wie gut gestaltet dürfen Bilder aus Krisenregionen sein? FOTOHITS  befragte hierzu Steve McCurry, legendäres Mitglied der Agentur „Magnum Photos“.

© Steve McCurry
In der afghanischen Provinz Bamiyan reitet eine Mann auf seinem Esel. Das Foto entstand 2006, also fünf Jahre nachdem die Taliban die berühmten Buddha-Statuen zerstört hatten. © Steve McCurry

FOTO HITS: Sie kennen die verschiedenen Gesichter Afghanistans seit den 1970er Jahren. Aber heutzutage sehen die Menschen es nur noch als Land des Terrors. Welchen Blickwinkel haben Sie?

Steve McCurry: Es ist ein Jammer, da das Land so eine großartige Kultur und Tradition besitzt. Heute ist es völlig ruiniert. So viel von seiner Geschichte ging verloren, etwa als die großen Buddhas von Bamiyan zerstört wurden.

FOTO HITS: Zuerst hielt man die Mudschahedin im Westen für Freiheitskämpfer, jetzt gelten ihre Nachfolger als Terroristen. Haben Sie diese Verschiebung auch so extrem erlebt?

Steve McCurry: Es gibt viel Misstrauen, die Afghanen sind des Ganzen so überdrüssig. In der Hauptstadt Kabul etwa mögen sie Ausländer nicht besonders, aber die Taliban sind für sie noch schlimmer, was Freiheit, die Geschäfte oder einfach ein normales Leben zu führen angeht. 

Allerdings sind die Afghanen nicht bereit, sich diesen Niedergang einzugestehen. Sie benötigen die NATO und die USA, um sie zu verteidigen.

FOTO HITS: Es reisen heute nur noch wenige Journalisten nach Afghanistan. Aber "Magnum Photos" ist generell berühmt für seine Langzeitprojekte. Wie sind ihre Pläne bezüglich zukünftiger Reportagen? 

Steve McCurry: Da letzte Mal war ich vor einem Jahr dort. Aber es braucht einen wichtigen Grund, um zurückzukehren. Ich denke nicht, dass es im Moment einen dramatischen Wandel gibt.

FOTO HITS: Bei der ersten Reise in den 1970ern hatten Sie im Wesentlichen einige Erdnüsse und Kameras im Gepäck. Was benötigen Sie heute?

Steve McCurry: In der guten alten Zeit konnte man herumspazieren und gutes Wetter genießen. Heute ist man in einem Hotel und benötigt ein Auto. 

Der Schlüssel zum Erfolg ist, mit dem bestmöglichen Mittelsmann und Führer zu arbeiten. Schließlich ist es ein sehr gefährliches Land und man will keinesfalls an den falschen Orten landen und auf die falschen Leute treffen.

FOTO HITS: Einige Kriegsfotografen sagen freimütig, dass es ihnen auch um den Nervenkitzel geht. Ist dies bei Ihnen ähnlich?

Steve McCurry: Nein, meine Motivation war immer, dass es um eine extrem wichtige Geschichte geht, die noch niemand erzählt hat. Nichtsdestotrotz beschleunigt sich der Puls, man ist in einem extremen Alarmzustand und stellt sich der Herausforderung, die Gefahr zu überstehen.

FOTO HITS: Dabei behalten sie aber einen künstlerischen Blick auf Ihre Motive. Überwiegt er den des Dokumentarfotografen?

Steve McCurry: Beide Elemente sind enthalten. Man kann über Geschehnisse auf eine sehr eigene Weise erzählen, und anderen Menschen mitteilen, wie das Leben sich darstellt. Schau auf die Werke von unzähligen Porträtfotografen weltweit und dann auf die von August Sander mit seinem ganz besonderen Blick. Oder betrachte das Werk Henri Cartier-Bressons. Er sah die Welt eher auf persönliche und sehr kreative Weise – hier überwog die Kunst. 

Wichtig für mich ist die Faszination dafür, was das Leben in Afghanistan zu einer bestimmten Zeit ausmacht, und es anderen zu zeigen. Ich will keine großen Geschichten erzählen, sondern eher von Menschen und wie sie mit ihrer Umwelt oder ihren Familien kommunizieren. Das ist für mich interessanter als wer gerade an der Macht ist oder mit anderen Krieg führt.

FOTO HITS: Ihr neues Buch "Afghanistan" verrät dem Leser nur den Ort und den Zeitpunkt einer Aufnahme. Warum geben Sie keine weiteren Erläuterungen?

Steve McCurry: Hoffentlich ist zu verstehen, was geschieht, nur indem man auf die Bilder schaut. Sie sollten die Geschichte erzählen. Manchmal gibt es einen Moment, der zwar nicht politisch relevant ist, aber trotzdem etwas wichtiges offenbart. Und manchmal sind Mehrdeutigkeit oder ein Geheimnis wichtiger als jedes Detail zu erklären. 

FOTO HITS: Niemand würde Johann Sebastian Bach dafür kritisieren, dass er das Leiden Christi mit durchkomponierter Musik wiedergab. Doch Kriegsfotografen müssen sich rechtfertigen, wenn sie nur einen weichen Fokus einsetzen. Ärgert Sie das?

Steve McCurry: Grundsätzlich sind es zwei verschiedene Dinge, ob man Krieg oder Menschen porträtiert. Ich erinnere mich an kein entsprechendes Foto, das mit technischem Mitteln versuchte, den Krieg irgendwie schicker aussehen zu lassen. 

Natürlich achten manche Menschen auf die Gestaltung, und das ist in Ordnung. Wer ein guter Handwerker ist, will sichergehen, dass das Licht und die Komposition auf bestimmte Weise gesetzt sind. Mancher interpretiert dies einfach falsch.

FOTO HITS: James Nachtwey wurde immerhin dafür angegangen, in welchem Licht er Leichen dramatisierte.

Steve McCurry: Jim – James Nachtwey zählt zu meinen Freunden –  ist akribisch in seinen Vorstellungen und in seinem Vorgehen. Zuerst einmal geht es ihm um die Story und wie er sie auf seine ganz eigene Weise präsentiert.

Wir brauchen Menschen wie ihn, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren und Reportagen zurückbringen, dank der wir wissen, was in Syrien oder Afghanistan vorgeht. Diese Leute könnten viel einfacher andere Dinge fotografieren und mehr Geld verdienen. Aber manche Journalisten besitzen ein Gefühl dafür, dass sie eine wichtige  Aufgabe erfüllen. Für mehr Gerechtigkeit in der Welt muss man jemanden ansprechen, und das ist ihre Weise, dazu beizutragen. 

FOTO HITS: Inwieweit macht dies ihr neues Buch?

Steve McCurry: Ich hoffe, es zeigt etwas von der Menschheit, von Lebensumständen, auf die die meisten ansonsten keinen Blick werfen. Wer an Afghanistan denkt, denkt meist an Bomben und ihre Opfer. Aber das Land ist weit mehr als das. 

Afghanistan

Das neue Werk von Steve McCurry zeigt das Land über vier Jahrzehnte hinweg. Die berührenden Fotos sind mit kurzen Angaben über Zeit und Ort ergänzt.

Steve McCurry: Afghanistan. Taschen 2017, 256 Seiten, Hardcover, ISBN 978 3 8365 6936 1, Preis: 59,99 Euro, www.taschen.com