Interview

Thronjubiläum: 100 Jahre Leica-Kameras

Interview

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Dr. Andreas Kaufmann

Die Leica-Kamera feiert 2014 ihren hundertsten Geburtstag. Ihre Fertigungsqualität schenkte ihr von Anfang an treue Anhänger. Aber ausgerechnet das Festhalten an Traditionen trieb Leica fast in den Untergang. FOTO HITS fragte Dr. Andreas Kaufmann, den Vorsitzenden des Aufsichtsrats, wo Leica heute steht.

FOTO HITS: Den neuen Leitz-Park eröffneten Sie in Wetzlar. Entschieden Sie das aus Traditionsgründen? Schließlich schlagen alle Start-up-Unternehmen ihre Hauptquartiere im schicken Berlin auf.

Dr. Kaufmann: Leica fertigt industriell seit 1925, stellt also nächstes Jahr seit 90 Jahren seine Produkte her. Für die Wiedergründung als Marke war es uns wichtig zu zeigen, dass die Heimat in Wetzlar liegt, und dies auch nach Außen zu demonstrieren. Dazu dient etwa das Gebäude in Leitz Park II, in Leitz Park I befinden sich Zulieferbetriebe für die optische Industrie.

FOTO HITS: Für meine Generation - ich bin 45 - besitzt der Name "Leica" noch einen Nimbus. Wie wollen Sie jüngere Käuferschichten für sich gewinnen?

Dr. Kaufmann: Wir haben folgende Ansicht: Fotografie ist für Sie Sport Nummer Eins, doch etwa 80 Prozent dieser Zielgruppe kommt heute von Smartphones. Uns interessieren die 20 Prozent, die merken, dass sie mit einem Smartphone nur einen Schnappschuss erzielen. Da hilft keine Software wie "Adobe Photoshop", das Endergebnis wirkt immer sehr künstlich. Ich glaube, dass für diese 20 Prozent unsere Maßnahmen – wie die weltweiten Leica-Galerien – "Leica" zu einer besonderen Marke machen – sowohl in der Fotografie als auch für die Fotografen. Das werden wir weiter ausbauen. Und die Leica T etwa besitzt noch Strahlkraft in preislich günstigere Marktsegmente.

FOTO HITS: Letztere ist auf solvente Hobbyfotografen zugeschnitten. Die könnten aber die im übrigen hervorragenden Leica-Objektive auch an eine preiswertere Fujifilm X-E2 anbringen ...

Dr. Kaufmann: Das sollen sie ruhig. Dann kann man erst einmal ausprobieren, wie die Objektive sind. Und nachher sieht jeder, dass es Unterschiede bei der Sensorauslesung gibt.

FOTO HITS: Leica hat zwar eine lange Erfahrung bezüglich optischen und mechanischen Bauteilen, aber wenig bei digitalen. Wie sichern Sie diesbezüglich die Qualität?

Dr. Kaufmann: Das stimmt nicht. Leica hat schon ganz früh in den 1960er Jahren elektronische Komponenten in die Kameras eingebaut, die selbst gefertigt wurden. Dies hat dazu geführt, dass wir 1976 der Vorläufer des heutigen Autofokus vorstellen konnten. Und 1996 hat Leica seine erste Digitalkamera präsentiert. Es ist also ein landläufiges Vorurteil, das der historischen Prüfung nicht standhält.

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Oskar Barnack an seiner Werkbank.
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Der Ruhm der Leicas beruhte unter anderem auf der sorgfältigen Fertigung. Aber die damit einhergehenden Produktionskosten undsinkende Absatzzahlen brachten die Firma an den Rand des Bankrotts. Bilder: Liesel Springmann.

FOTO HITS: In der Jubiläumsschrift gehen Sie recht offen damit um. Dort steht, dass es ein Fehler war, das Autofokuskonzept nicht mehr zu verfolgen.

Dr. Kaufmann: Es ist immer leicht, im Nachhinein zu urteilen. Damals war es etwas völlig Neues und die Frage lautete: Was macht man damit? Dieselbe Frage hat sich Kodak mit seiner Digitalkamera gestellt. Im Jahr 1976 war deren Vorführung und im Direktorium soll jemand gesagt haben: Who the hell needs that shit? Der anderer Hintergrund ist: Leica hat den Autofokus entwickelt, um die Zusammenarbeit mit Minolta zu verstärken. Auf diese Weise konnte die R-Serie weiter ausgebaut werden. Das war ein gegenseitiger Handel, und Minolta hat den Autofokus dann zur Serienreife gebracht.

FOTO HITS: Leica dagegen wagte 2006, mit der M8 am manuellen Messsucherprinzip festzuhalten. Und das zwei Jahre, nachdem Epson mit der RD-1 gescheitert ist. Warum?

Dr. Kaufmann: Das Messsuchersystem hat seine klare technische Berechtigung. Man kann die Objektive anders bauen, weil Sie nicht hindurchschauen müssen. Das ist ein Problem der Spiegelreflexkameras – abgesehen vom Spiegelschlag. Beim Messsuchersystem können wir kleine knackige Objektive bauen. Derjenige, der mit ihnen umgehen kann – was zugegeben nicht jeder kann – weiß, was er daran hat. Im Zweifelsfall ist er damit schneller.

FOTO HITS: Es gibt also keine Pläne, von diesem Prinzip abzurücken?

Dr. Kaufmann: Das wäre so, als würde Porsche sagen: Wir killen den 911. Und wir bieten abseits des Messsucherprinzips eine breite Produktpalette. So produzieren wir natürlich auch Spiegelreflex, aber auf sehr hohem Niveau, nämlich für das Mittelformat. Zwischen diesem S- und dem M-System ist noch Raum vorhanden.

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Leica M3

FOTO HITS: Steht die S-Serie als Premiumsegment jetzt im Zentrum von Leica, da sie angesichts der Zielgruppe am lukrativsten sein dürfte?

Dr. Kaufmann: Die M-Serie ist für eine spezielle Zielgruppe. Die S-Serie wiederum kombiniert den Studio-, Mittelformat und Spiegelreflexsektor, den wir richtig füllen müssen. Ich denke, da haben wir noch Interessantes in der Pipeline.

FOTO HITS: Hier hat Leica einen Anteil von etwa 20 Prozent erreicht, stimmt das?

Dr. Kaufmann: Es dürften eher 25 Prozent sein. Die anderen Konkurrenten schwächeln etwas und haben das Glück, diesen CMOS-Sensor von Sony verwenden zu können. Ihr Problem sind aber die anderen elektronischen Bauteile.

FOTO HITS: Wird es noch weitere CSC-Modelle in der T-Serie von Leica geben?

Dr. Kaufmann: Die Leica T bewegt sich in einem Segment, in das wir noch sinnvoll hineinwachsen können. Zwar haben wir es zwar momentan mit einem schrumpfenden Markt zu tun, gerade im Kompaktkamera-Bereich. Aber technisch geht es eher nach oben. Ich denke, da sind wir richtig positioniert. Allerdings sind wir von "copycats" (englisch für "Nachahmer"; die Redaktion) umgeben. Fujifilm hat damit angefangen, Sony kommt angeblich mit einem Schwarzweißsensor. Den Trend hat Leica gesetzt. Ich denke, wir werden immer wieder Überraschungen liefern, während die Japaner nicht lange brauchen, um sie nachzumachen.

FOTO HITS: Kann man nur photokina 2014 mit solchen Überraschungen rechnen?

Dr. Kaufmann: Die gibt es immer wieder. Aber zur photokina stehen ganz klar "60 Jahre M" im Zentrum, eine unglaubliche Zahl. Heute ist das Messsucherprinzip komplett auf der Höhe der Zeit, zuzüglich einiger weiterer Verbesserungen.

FOTO HITS: Dann ist doch eher ein Rückblick geplant?

Dr. Kaufmann: Nein, keineswegs. Das Hauptthema ist wie gesagt der Messsucher: ein modernes System, an dem man seit 60 Jahren die Objektive verwenden kann. Das bekommen Sie ansonsten nirgendwo.

FOTO HITS: Das ist tatsächlich selten, ansonsten fällt mir nur Nikons F-System ein.

Dr. Kaufmann: Aber versuchen Sie einmal, ein Nikon-Objektiv von 1962 an eine heutige Kamera anzubringen. Die Firma hatte ja den Anschluss geändert. So ist etwa der Autofokus nicht verwendbar und so weiter. Bei der photokina plant Leica nicht nur einen Rück-, sondern auch einen Ausblick. Wir haben ja vor kurzem zur Eröffnung des Leitz-Parks eine neue analoge M herausgebracht, das verbesserte Modell Leica M-A. Das ist gar nicht so aufgefallen. Und wir haben sicherlich einige interessante Neuheiten für die photokina.

FOTO HITS: Sind auch weiterhin Kooperationen geplant, wie sie mit Minolta, Fujifilm und Panasonic gepflegt wurden?

Dr. Kaufmann: Wir haben seit 2001 eine immer weiter vertiefte Partnerschaft mit Panasonic. Die Firma gibt ja durchaus zu, dass sie dadurch viel hinsichtlich Objektiven und anderem gelernt hat, und wir werden dies weiter betreiben. Eine Anmerkung noch zur deutschen Fotopresse: Wenn über Leica berichtet wird, heißt es immer: Ach, die sind teuer. Das ist, als ob ein Autotester seinen Artikel mit den Worten beginnt, wie schweineteuer Porsche ist. Diese Art der Berichterstattung hat nichts mit dem Auto zu tun, sondern nimmt nur die Preistabelle ins Visier. Diese Ansicht geht mir auf den Keks. Erstens waren Leicas schon immer preislich anders positioniert. Zweitens ist die Leica die letzte ihrer Art auf dem Kontinent. Das heißt „Kleinvieh“ im positiven Sinne: geringere Stückzahlen, dafür beste Qualität bzw. Fertigung in Handarbeit und in Europa. Das muss man bei solchen Tests bedenken. Wenn ich mir so eine Teststrecke schon anschaue: Da steht immer eine Anzeige am Anfang – das steht mir bis zum Hals, Entschuldigung.

FOTO HITS: Vor dem Boom der Digitalkameras war man tatsächlich schmerzfreier, was den Preis etwa für ein Objektiv anging. Dieser Massenmarkt ebbt aber zunehmend ab.

Dr. Kaufmann: Die gesamten fernöstlichen Konkurrenten – die wir allerdings nicht als solche sehen – überschwemmen den Markt mit völlig lachhaften Preisangeboten. Daran verdient doch niemand etwas, was ist das für ein Geschäftsmodell? Der Preiskampf wird nach oben weitergetragen. Das führt zu schnellen Produktionszyklen, die keine großen technischen Veränderungen mit sich bringen. Wenn ich eine solche Kamera kaufe, ist sie bald etwa 35 Prozent weniger wert. Warum? Weil die nächste schon sechs Monate danach bereitsteht, und so schnell sind technische Innovationen auch nicht.

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Überall auf der Welt eröffnet Leica so genannte „FlagshipStores“. Sie sollen auch der jungen Generation das Prestigevon Leica vermitteln.