Kolumne

Foto und Form

Foto und Form

Die Serie „Foto und Form“ lässt Fotografen die Welt mit anderen Augen sehen. Mit ihrer Hilfe erkennen sie lohnenswerte Motive, schon bevor sie die Kamera zücken.

Wesentlich für die Bildgestaltung ist die Blickrichtung, die dem eigentlich zweidimensionalen Bild mehr Tiefe verleiht. Der Buchautor Dr. Michael Lobisch-Delija zeigt in dieser Ausgabe, wie man die Augen zielsicher lenkt.

Folge 3: Blickrichtung

Das Auge wandert – westlichen Schreib- und Lesegewohnheiten entsprechend – gerne von links nach rechts. Außerdem ist  es vorteilhaft, wenn es helle Bildteile nach rechts außen führen, statt dass es dunkle Bereiche blockieren.

Flugziel bestimmen

Das Beispiel unten sieht man sowohl seitenrichtig als auch seitenverkehrt abgebildet, um diesen Effekt zu überprüfen:

Wenn ich die Abbildungen Beispiel 1 und 2 vergleiche, gebe ich unbedingt der Abbildung 1 den Vorzug, weil hier die Blickführung eindeutiger und besser ist, da die aufstrebende(n) Diagonale(n) den Blick nach rechts in die hellen Bereiche führt, während dieser in Abbildung 2 eher unstet zwischen den Bildteilen hin- und herwandert: Zwar locken ihn die Schattenlinien an Mauer und Boden zunächst nach rechts – auch dort gibt es helle Stellen, aber nichts Interessantes zu sehen, da sich die bildwichtigen Teile viel weiter links befinden. Also springt der Blick zurück in die Gegenrichtung, was uns weniger behagt und für Unruhe sorgt. Merke: Der Blick folgt gerne dem Licht, aber nicht in die Leere!

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Abbildung 1: Der Blick geht aufwärts und ins Helle.
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Abbildung 2: Der gespiegelten Version fehlt die Spannung.

Ruhepunkt finden

Im folgenden Beispiel ist die Lage noch etwas vertrackter, wie man unten sieht: 

Die oben genannte Regel, dass der Blick lieber ins Helle wandert, scheint in Abbildung 3 gebrochen, da es nach rechts eigentlich eher dunkler wird. Aber: Die im Gegenlicht hell leuchtenden Konturen der Köpfe der abgebildeten Personen bilden hier den wichtigsten Bildteil, zu dem das Auge gerne (von links nach rechts) hinwandert, zumal ein schöner Kontrast zu der dunklen Wand dahinter besteht.

Ganz anders wirkt Abbildung 4, wo der Blick zunächst links von den Personen im Gegenlicht gefesselt wird, anschließend, der Diagonale folgend, nach rechts oben driftet und an einer eher hässlichen Plakatfläche hängen bleibt.

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Abbildung 3 (seitenrichtig)
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Abbildung 4 (seitenverkehrt)

Hinweis

Alle Regeln sind relativ, denn das Ergebnis hängt vor allem von den Details im Bild selbst und weniger von einer Regel ab! Das Auge lässt sich also nicht so schnell in die Irre führen, sondern findet rasch zu den bildwichtigen Elementen, wobei der Weg dorthin erleichtert oder erschwert sein kann.

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Im nächsten Beispiel wird die Sache sogar noch etwas verzwickter. Das Originalfoto sieht wie oben gezeigt aus.
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Da es auf diesem Foto auf der rechten Seite ziemlich duster wird, scheint der Versuch gerechtfertigt, die Aufnahmen zu kontern.
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Von den dunklen Bäumen ausgehend lenken die Zweige und Straße den Blick nach rechts.

Wenn ich ehrlich bin, gefallen mir beide Versionen fast gleich gut: Bei der Originalversion (Abbildung oben) stört mich der dunkle rechte Bildteil deshalb nicht, weil es darin noch genug zu sehen gibt und der Baum somit nicht wie eine Barriere, sondern eher wie eine Klammer wirkt, die den Blick abfängt und mit seinen Zweigen wieder zurück in die Birkenreihen leitet.

In der zweiten (gekonterten) Version (Abbildung oben) wirkt der nun links stehende dunkle Nadelbaum wie eine „Startkulisse“ für den Blick, der sowohl von seinen oberen Ästen, als auch von der diagonal aufsteigenden Straße zu den schönen Birkenreihen geleitet wird. Das nachfolgende Schema links unten verdeutlicht nochmals die perspektivischen Linien.

Eine teure Ausrüstung erweitert die fotografischen Möglichkeiten. Entscheidender für die Bildqualität ist aber, wie man nutzt, was verfügbar ist – egal ob Kompakt- oder Spiegelreflexkamera. Das Buch vermittelt hierfür wichtige formale Grundsätze, etwa wie man Flächen, Linien und Perspektiven gekonnt einsetzt. Zahlreiche Fotos veranschaulichen, wie sie wirken. Anhand der Beispiele lernt man, mit Formen und Farben beeindruckende Wirkungen zu erzielen. Der Leitfaden wurde für den „Deutschen Fotobuchpreis 2015“ nominiert.

Michael Lobisch-Delija: Wie wirkt mein Bild? mitp 2014, 2. Auflage 2016, Softcover, 196 Seiten, ISBN 978 3 8266 9694 7, Preis: 19,99 Euro

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