Kolumne

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Schlüsselloch Fotografie

Im Zeitalter der Scheckkarten und Sicherheitssysteme, die das ergaunerte Eigentum schützen, ist es fast ausgestorben: das gemeine Schlüsselloch. Somit auch die Fotografie durch selbiges. Ab dem Alter von drei Jahren begannen mich Schlüssellöcher, besonders zur Weihnachtszeit oder wenn der Geburtstag nahte, zu interessieren. Hinter diesen vermutete ich epochale Geheimnisse.

Ab der Zweiten Klasse, ich hatte das zarte Alter von acht Jahren erreicht, gewann ich den Eindruck, dass sich hinter Schlüssellöchern, besonders denen vor Mädchen-Umkleidekabinen, unglaubliche Dinge abspielen müssten. Sehen konnte man meist nichts. Endweder hatten Spinnen ihre Netze in den Löchern gewoben oder jemand, der mich zu kennen schien, hatte das Loch mit Tempos zugestopft. Astlöcher in Brettern erfüllten in Freibad-Umkleidekabinen einen ähnlichen Zweck. Nur konnte man durch sie besser sehen.

Später musste ich feststellen, dass ich nicht der einzige Schlüssellochgucker war. Schon in meinem ersten Fotobuch, das ich in der Stadtbücherei auslieh (Titel: Hohe Schule der Aktfotografie), waren Schlüsselloch-Fotos abgedruckt.

Nur: Wie waren diese entstanden? Welches Objektiv wurde hierfür verwendet? Mit was für einer Filmempfindlichkeit bekam man diese scharfen Bilder hin? Fragen über Fragen. In der Hohen Schule stand leider nur: Agfapan 100, 21 Din. Ich folgerte, dass es sich um einen hochempfindlichen Film handeln musste, denn empfindlich klingt nach Qualität. Doch das brachte mich auch nicht viel weiter.

Also gelangte ich zu der Überzeugung: Versuch macht klug! Ich kaufte mir diesen megahochempfindlichen Film mit 21 Din, packte ihn in meine Agfa Click und suchte mir ein Schlüsselloch. Nur: Welche Blende sollte man wählen? Ich hatte ja zwei Symbole an meiner Kamera: Sonne und Wolken. Da im Schlüsselloch keine Sonne schien, entschied ich mich für die Wolken. Jetzt musste ich mich noch zwischen drei Verschlusszeiten entscheiden. Das eine war 1/125tel, dann kam 1/30tel und B. Ich wählte B. Meinte dies steht für Bart vulgo Schlüsselbart oder möglicherweise auch für BKS.

Die meisten Ergebnisse meiner Versuche waren niederschmetternd. Nur gut, dass man damals auch Scheiß-Abzüge kaufen musste. Sonst wären diese unwiederbringlichen Exzesse meines Schaffens futsch gewesen. Die Nachwelt müsste ohne sie leben. Aber wie gesagt, damals musste man jeden Schrott kaufen.

Mein Erstes Schlüsselloch-Foto. Schemenhaft erkennt man noch das Schlüsselloch. Nur meinen Vorstellungen entsprach das Ergebnis nicht ganz. Trotzdem ein Dokument der Schlüsselloch-Fotografie. Starrt man lange genug auf das Loch, konnte man sich, mit sehr viel Fantasie etwas … vorstellen.

Ich wollte schon resigniert aufgeben und mich von der Schlüsselloch-Fotografie ab- und der Dokumentations-Familien-Fotografie zuwenden, da fiel mir „Der Kleine Schmalfilmer“ in die Finger. Hier wurde ausführlich über das Schlüsselloch-Filmen berichtet. Was für Normal 8-Filmer gut war, sollte auch bei ambitionierten jugendlichen Knipsern funktionieren.

Der Trick war, dass die Kamera nicht durch ein Schlüsselloch schaute, sondern fröhlich durch eine Schlüssellochschablone linste. Nichts sehnlicher wünschte ich mir als so eine Pappschablone.

  Der Durchbruch. Dies Bild brachte mir die Erkenntnis, dass ich eine Schablone brauche. Leider konnte man an meiner Agfa Click kein Kompendium befestigen, aber wozu hatte der liebe Gott mir zwei gesunde Hände gegeben. Ich brauchte ja nur solch ein „Dummy Schlüsselloch“ vors Objektiv zu halten.

 

Da die gute Click wahrlich keine Spiegelreflex war, hieß es wieder tüfteln. Wo, genauer in welchem Abstand vom Objektiv, hatte man den besten Schlüsselloch-Durchblick-Effekt. Wie groß musste der Loch-Dummy sein? Probieren ging wieder einmal über studieren. Also Bilder machen, diese dann begutachten und gegebenenfalls wegwerfen.

Drei Filme wurden belichtet. Genau notierte ich den Abstand zwischen Lochschablone und Objektiv. Dann kam der große Moment und ich konnte meine Lorbeeren abholen. Zwei Aufnahmen erwiesen sich als optimal. Damit hatte ich zwei Ergebnisse, auf denen es sich aufzubauen lohnte. Nur zu welcher Bilderserie und zu welchem der drei Filme gehörten sie? Und vor allem: Welches Bild gehörte zu welchen Notizen? Daran hatte ich nicht gedacht. Ich entschied mich für ungefähr 30 oder 32 Zentimeter Schablonenabstand. Das sollte dann doch schon passen.

Nachdem ich die Technik beherrschte, sollte es kreativ werden. Ich wollte auf jeder Reise immer eine Schlüssellochschablone dabei haben. Jetzt würde ich alles durch mein privates Loch ablichten. Keines meiner Fotos sollte mehr ohne gemacht werden. Zumindest in den nächsten vier bis sieben Jahren. Meine Kameras wurden zwar immer professioneller aber die Schablone hatte ich stets dabei. Auch heute noch gehe ich nicht ohne. Keinen Schritt setzte ich ohne diese vor die Tür.

Viel später habe ich die Schablonen auch aus rostigem Stahl gebaut. Diese erforderten immer Schwertransporte, um sie von A nach B zu transportieren. Das eine Mal schaute sogar ein Fernsehteam vorbei. Das war, als mein Schwerlasttransport auf der A3 mitsamt der Schablone umgekippt war. Nein, was haben wir gelacht.


Dieses verführerische Schlüssellochbild war das erste, welches ich mit einer Person vollzog. Ich nannte das Bild „Schlüsselkind“. Selbst der Schlüsseleffekt war noch nicht so klar heraus gearbeitet. Die gigantische Entwicklung meines Schlüsselloch-Schaffens wird dadurch aber erst nachvollziehbar. Auch die Person (vermutlich weiblich – logisch, weil das Bild ist von mir) wurde extrem abstrahiert. Die überlagernden Schatten bargen das Geheimnis des jungen Körpers. Der Trick mit dem Schatten über den Augen ging später als Schattenmasken-Effekt in das Kompendium der Fotografie ein. Der göttliche Maler Botticelli führte mir bei diesem Bild das Händchen. Bitte entschuldigen Sie die Qualität des Abzuges. Bilder aus den Jahren vor 1960 kann man nur mit heutigen Tintenstrahlausdrucken vergleichen.

Nun ein bunter Reigen der besten Schlüsselloch Bilder. Ein Strauß voller Poesie. Da kommt keiner mit. Selbst Helmut N. (voller Name der Redaktion bekannt) sprach mich damals in Bonn auf meine Schablone an. Aber ich habe sie ihm verweigert. Bis zu seinem Ableben hat er mir das nicht verziehen.

 

Da hat die Königin aber gestaunt. Der Kerl ist nackt und popelt in der Nase. Rechts beim possierlichen Holzkerlchen sieht man ja, wohin das führt: zu einer langen Nase. Dies alles entstand mit der Original-Schablone aus dem Jahre 1959. Ich habe sie richtig in mein Herz geschlossen. Selbst in Italien.

 

 

 

Da probiere ich (im Bild links) die englische Leib- und Magenspeise: Fish and Chips. (Bild Mitte) Einem Gourmet wird dabei sicher übel, aber meinem Magen konnte auch so etwas nichts anhaben. Den Frittenbrater (rechts) hat dann später der MI 5 hingerichtet. Für mich war es nicht leicht, die Schlüssellochstahlplatte mit meinem Sattelschlepper durch ganz England zu transportieren. Denn da herrscht Linksverkehr.

Kolumne: Klaus-Dieter meint ...